Die Novizin
gelitten haben musste.
»Die Kirche verabscheut Eunuchen, daher habe ich versucht, es geheim zu halten. Nur der Prior und der Infirmarius in Toulouse wissen davon. Ich fürchtete um meinen Werdegang innerhalb des Ordens.« Er trat wieder an die Tür. »Nach meiner Tat würde ich nicht mehr sündigen können – das dachte ich zumindest. Aber ich sündige immer noch, denn ich habe noch immer den Wunsch, mich mit Euch zu vereinen. Selbst jetzt noch. Und das verstehe ich nicht. Mir scheint, als hätte ich mich auf die Folterbank gelegt und selbst für alle Zeit dort festgebunden. Ich habe Euch mehr geliebt als Gott, und das ist eine Sünde, die keiner von uns auszulöschen vermag.«
Ich hatte keine Worte zum Trost. Doch er erwartete wohl auch keine.
Er sah durch das löcherige Dach zum Himmel hinauf. »Der Morgen schreitet voran. Ich muss jetzt gehen. Die nötigen Vorbereitungen für Eure Flucht sind bereits getroffen. Geht mit Gott, Madeleine de Peyrolles.«
Ich beobachtete durch die Türöffnung, wie er auf sein Pferd stieg und davonritt. Er blickte sich nicht um, obwohl ich hinter ihm her rief. Er blickte kein einziges Mal zurück.
SUBILLAIS
Ich mochte weder die Stille jener Berge noch die Art, wie die Nebelschwaden morgens über die Hänge krochen, als seien sie böse Geister, die Übles im Schilde führten. Ich wollte fort, zurück nach Toulouse. Dort hatte ich mich sicherer gefühlt.
Der Erzfeind ist ein listenreicher Gegner, und hier in Saint-Ybars wäre ein weniger standhafter Inquisitor vielleicht in eine Glaubenskrise geraten – denn dies war zweifellos, was der Teufel beabsichtigte. Er hatte an diesem Ort Legenden, Lasterhaftigkeit und Häresie äußerst geschickt miteinander verwoben, zu einem Spinnennetz aus seidenen, tückischen Fäden.
Die Dame Eleonore setzte sich in ihrem Bett auf. Ihr Gesicht war so weiß wie Marmor. Ihre Diener schienen zu glauben, dass sie sterben würde, doch der Seigneur hatte mir berichtet, es handele sich lediglich um ein Frauenproblem.
Als ihre Augen auf das in Öltuch gewickelte Bündel unter meinem Arm fielen, weiteten sie sich vor Entsetzen. Sie starrte ihren Gemahl an, der hinter mir das Gemach betreten hatte. Sie schien nicht begreifen zu können, warum er sie verraten hatte.
In meinen Augen war die Antwort offensichtlich – er stammte aus Burgund, sie nicht.
Die Kammerzofen wurden weggeschickt. Nachdem die Tür fest verschlossen war, öffnete ich das Bündel und ließ die Gebeine am Fußende des Bettes auf die Decke gleiten.
Ich fragte mich immer noch, warum der Schädel fehlte.
»Was habt Ihr getan?«, schrie Eleonore ihren Gatten an.
»Das könnte ich Euch ebenso gut fragen, meine Gemahlin.«
Sie begann zu toben. »Ihr habt bei Eurer Ehre geschworen!«, kreischte sie. »Ihr habt bei Eurer Ehre geschworen, das Geheimnis der Gebeine zu bewahren!«
»Meine Ehre zwingt mich nicht dazu, Eure grässlichen Häresien zu unterstützen! Christus ist am Kreuz gestorben, auferstanden und zum Himmel gefahren. Wer kann sagen, wessen Knochen dies sind? Vielleicht haben wir uns in Ehrfurcht vor einem Bettler oder einem alten Weib verneigt.«
»Aber wir haben Beweise!«
Beweise … Deshalb war ich hergekommen und hatte sie mit ihren Sünden konfrontiert. Ich musste herausfinden, was sie sonst noch vor mir verbarg.
»Es gibt Beweise?«, fragte ich.
Sie schwieg und starrte mich hasserfüllt an.
»Es gibt ein Dokument, einen Stammbaum«, erklärte Raymond.
»Wenn Ihr über einen solchen Beweis verfügt, dann solltet Ihr ihn vorlegen«, mahnte ich sie. Ihre Beweise würden lediglich bezeugen, dass sie eine Häretikerin war. Die Bibel war der einzig wahre Stammbaum, den ich kannte.
»Er wurde vernichtet.«
»Vernichtet?«
Sie sagte nichts mehr, doch mir fiel das Buch ein, das ihr widerwärtiger Bruder auf den Scheiterhaufen der Ketzerin Agnes Roiand geworfen hatte. Er hatte also einen Stammbaum verbrannt, in dem behauptet wurde, dass es sich bei jenen Knochen um die sterblichen Überreste des Erlösers handelte. Dass unser Heiland Nachkommen gezeugt hatte und dass die Blutlinie immer noch existierte. Es wunderte mich nicht, dass Christian de Saint Ybars jenes Buch den heiligen Flammen überantwortet hatte.
»Begreift Ihr nun, was Ihr getan habt?«, zischte der Seigneur seine Gemahlin höhnisch an.
»Unsere hohe Abstammung ist alles, was wir haben. Aus diesem Grund habt Ihr mich doch geheiratet – Euer Sohn sollte von hohem Geblüt sein!«
»Ihr seid nicht
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