Die Novizin
konnte. Nichtsdestotrotz bewunderte ich seinen Wagemut.
Die Wachen hatten ihm die Hände auf dem Rücken gefesselt und ihre Schwerter gezogen, denn offenbar wirkte ihr hünenhafter Gefangener selbst in diesem Zustand noch gefährlich auf sie. Sie hatten ihn mit dem Gesicht voran zu Boden gestoßen. Erstaunt blickte er nun zu mir empor. Er hatte gewiss nicht erwartet, dass ich es sein würde, vor der er sich zu verantworten hatte.
»Euer Name lautet Sicard Paylaurens. Wisst Ihr, wer ich bin?«
»Natürlich, Herrin.«
»Ihr wisst auch, warum Ihr hier seid?«
»Diese Männer haben mich verraten.«
»Im Gegenteil. Sie haben ihrem Herrn gegenüber ihre Pflicht erfüllt. Sie hätten nur dann einen Verrat begangen, wenn sie das getan hätten, wozu Ihr sie bestechen wolltet. Habt Ihr tatsächlich geglaubt, sie würden Euer Geld nehmen und auf Euer Geheiß handeln? Stellt Euch doch nur einmal vor, dass sie morgen früh erklären müssten, wohin eine Gefangene der Heiligen Inquisition verschwunden ist! Habt Ihr daran gedacht, was dann geschehen würde? Wenn die Wachen eine solche Gefangene entfliehen ließen, würde auch der Herr dieser Burg nicht ungeschoren davonkommen. Die Kirche würde sich gegen uns wenden. Und wenn der Seigneur Ungemach ertragen müsste, würde er jenen, die an seiner Lage schuld sind, noch viel größeres Ungemach bereiten. Glaubt Ihr wirklich, diese Männer hätten es riskiert, für ein paar Sol gefoltert und gehängt zu werden?«
»Ich war verzweifelt«, gestand Sicard Paylaurens freimütig.
»Nein, Ihr wart töricht.«
Sicard Paylaurens konnte sich glücklich schätzen, dass mein Gemahl betrunken und schnarchend in unserem Schlafgemach lag. Raymond hatte während des Abendmahls zu viel Wein zu sich genommen – vielleicht, um Subillais’ bevorstehende Abreise zu feiern, vielleicht aber auch, um seine Verzweiflung zu ertränken, da er ja von unserem unabwendbaren Untergang überzeugt war.
Daher hatten die Wachen mir den Eindringling gemeldet. Es blieb mir überlassen, ihn zu bestrafen, und das war der einzige Grund, warum dieses Gespräch überhaupt stattfand. Im anderen Fall hätte Sicard bereits in einem Käfig über einem der Tore gehangen.
Ich wandte mich den beiden Wachposten zu. »Lasst uns allein.«
»Er ist gefährlich, Herrin.«
Ich war es nicht gewohnt, dass meine Befehle in Frage gestellt wurden. Ein Blick genügte. Die Männer stampften davon.
Ich setzte dem Gefangenen meinen Fuß in den Nacken und drückte ihn mit dem Absatz meines Kalbslederstiefels nieder. Er sollte wissen, dass ich weder Furcht noch Sanftmut kannte, auch wenn ich eine Frau war. Sicard ächzte vor Schmerz, blieb jedoch vollkommen ruhig liegen. Er schien sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben.
»Ihr habt Glück, dass ich Euch ein gewisses Maß an Mitleid entgegenbringe, Sicard Paylaurens«, sagte ich und zog meinen Fuß zurück.
»Herrin?«
»Wenn unsere beiden Dominikanerbrüder von Eurem Ansinnen erfahren, werdet Ihr verbrannt, das wisst Ihr.«
»Ich muss sie retten!«
»Das könnt Ihr nicht.«
»Dann werde ich gemeinsam mit ihr sterben.«
»Das wäre ein sinnloser Tod.«
Was sollte ich mit ihm machen? Ich wollte ihn keinesfalls Subillais ausliefern. »Vielleicht werdet Ihr wegen dieser ganzen Angelegenheit tatsächlich bald sterben, Sicard. Es würde mich nicht überraschen, denn Ihr verfügt über den Scharfsinn und die Gerissenheit eines Rammbocks. Aber Ihr werdet nicht heute sterben, und nicht auf meinen Befehl.«
Er hob das Gesicht nicht vom Boden. »Ich liebe sie! Ich kann nicht einfach zusehen, wie sie leidet.«
Wie gesagt, ich bewunderte seine Kühnheit. Aber es gab nichts, was ich für ihn hätte tun können.
Ich ließ ihn in der Wachstube zurück, überquerte den Innenhof und trat wieder in den Hauptturm. Als ich die Treppe zur großen Halle hinaufschritt, durchzuckte mich plötzlich ein so starker, scharfer Schmerz, dass ich aufschrie und mich zusammenkrümmte. Einer der Söldner hörte mich und lief davon, um eine Magd zu holen. Sie halfen mir, die Stufen zu unserem Schlafgemach zu bewältigen, wo Raymond ausgestreckt auf dem Bett lag und schnarchte wie ein Bär.
Die Magd wälzte ihn vom Bett hinunter und scheuchte ihn aus dem Raum. Er musste auf allen vieren kriechen …
Ich spürte etwas Feuchtes zwischen meinen Schenkeln und sah Blut auf den Boden tropfen. Da wusste ich, dass etwas Schlimmes geschehen war.
Ich hätte die weise Frau kommen lassen, doch Sybille de
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