Die Novizin
fähig, mir einen Sohn zu schenken. Ihr habt ihn auf den Boden geblutet.«
Ich sah, dass Raymonds Worte Eleonore zutiefst verletzten. Ich fürchtete, dass noch viele Jahre voller Schmerz und Qualen vor ihr lagen, ehe sie zu Gott zurück finden und es bereuen würde, jemals an diese Lügengeschichte geglaubt zu haben. Sie wandte den Blick von ihrem Gatten ab und starrte gramerfüllt auf die Knochen, die er aus der Krypta von Montazels zu mir gebracht hatte.
»Ihr habt uns alle der Verdammung anheim gestellt«, warf sie ihm vor.
»Nein, ich habe Euch und Eure unsterbliche Seele gerettet. Ich habe auch Euren Bruder gerettet. Ich habe uns alle gerettet.«
Sie begann zu schluchzen, was dem Seigneur offenkundig sehr missfiel. Er befahl ihr, still zu sein, und als sie ihn nicht beachtete, drehte er sich auf dem Absatz um, stürmte zur Tür, riss sie auf und verschwand.
»Ihr habt mir Euer Wort gegeben!«, schrie sie ihm nach. Ich hörte, wie sich seine Schritte auf der Treppe entfernten. »Ihr habt nicht nur mein Vertrauen gebrochen, sondern auch das Vertrauen all jener, die ihr Leben ließen, um diesen Schatz zu bewahren! Wisst Ihr eigentlich, was Ihr angerichtet habt?«
Es war peinigend, all dies mit ansehen zu müssen, aber ich hatte solche Auftritte schon oft erlebt. Die Menschen schlugen vielerlei verschiedene Irrwege ein und vermochten sich auf zahllose Arten selbst zu täuschen, doch letzten Endes führte Gott sie auf den rechten Pfad zurück. Der Weg zum Heil war allerdings nicht freudenreich. Gutes erreichte man nur durch Schmerz und Buße.
Ich beugte mich zu Eleonore hinab und sagte versöhnlich: »Ihr habt Euch getäuscht. Diese Knochen stammen nicht von unserem Heiland. Der Heiland ist in den Himmel gefahren.«
Sie spuckte mir ins Gesicht und verdammte sich damit selbst. Ich konnte nichts mehr für sie tun. Ich nahm die häretischen Überreste an mich und ließ sie allein.
ELEONORE
Tauwetter setzte ein. Die Eiszapfen, die an Dächern und Fensterstürzen hingen, begannen zu schmelzen und tropften stetig auf das Kopfsteinpflaster des Innenhofs. Überall verwandelte sich der weiße Schnee in graubraunen Matsch.
Der Frühling kam näher, und obwohl es den Sonnenstrahlen noch an Kraft fehlte, versprach der klare blaue Himmel bereits, dass bessere Tage kommen würden.
In mir wuchs neues Leben heran. Zuerst hatte ich dies für reine Einbildung gehalten, denn nach der Blutung war ich davon überzeugt gewesen, das Kind verloren zu haben. Doch eines Tages war ich allein zum Teich der Madonna geritten. Ich hatte in das dunkle Wasser gestarrt und mein Spiegelbild gesehen, mit einem Knaben auf dem Arm – Raymonds Sohn. Das Kind war immer noch in mir, ich spürte, wie es sich bewegte. Der unterirdische Fluss, der geheime Fluss des Blutes, der seit alten Zeiten durch dieses Tal strömte, würde weiterfließen, weit in die Zukunft, genau, wie ich es Raymond und Christian versprochen hatte.
*
Wenn aus einem Freund ein Feind wird, fragen wir uns, warum wir ihn jemals bewundert haben. Was haben wir in ihm gesehen, das uns liebenswert erschien? Ich blickte Raymond an und sah lediglich seine Fehler, seine Feigheit, seine Kälte, seinen Mangel an Güte.
Er hatte mich wie eine Dienstmagd zu sich in die große Halle befohlen. Er saß am Kamin, seine Jagdhunde hatten sich zu seinen Füßen zusammengerollt. Als ich mich näherte, warf er mir nur einen flüchtigen Blick zu. Ich nahm neben ihm Platz, und er befahl einem der Diener, uns Glühwein zu holen. Danach verfiel er in Schweigen und starrte verdrießlich vor sich hin.
Lange Zeit sagte keiner von uns ein Wort. Schließlich holte Raymond tief Luft und verkündete: »Unsere Verbindung hat keine Früchte getragen. Ich betrachte sie als beendet.«
Das war alles. Auf diese Weise machte Raymond zwölf Jahre der Freundschaft und Vertrautheit zunichte. Was hätte ich erwidern sollen? Ich fühlte mich, als sei mir das Herz aus der Brust gerissen worden. Ich wusste, dass unsere Ehe nicht viel mit Liebe zu tun hatte, aber im Laufe der Zeit waren wir einander gute Gefährten geworden, und zumindest unsere körperliche Leidenschaft hatte tatsächlich existiert. Doch auch wenn wir nur aus politischen Gründen geheiratet hatten, verdiente ich nach so vielen Jahren etwas Besseres als dies.
»Ihr werdet in das Kloster Beausaint eintreten und den Rest Eurer Tage in Andacht und Gebet verbringen. Man wird gut für Euch sorgen.«
Ich hätte ihm am liebsten die Augen
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