Die Novizin
dass es sich niemals wieder schließen würde.
»Was wird mit den Gebeinen geschehen?«, fragte ich Bruder Subillais.
»Ich weiß es nicht. Dieses Problem müssen klügere Köpfe lösen.«
Er erhob sich, humpelte zum Fenster und blieb regungslos dort stehen. In der Zelle war es eiskalt.
Ich trat hinter den Tisch und las im Licht der Kerze, was er geschrieben hatte:
An den Heiligen Apostolischen Vater … von Hector Subillais, Mönch des Predigerordens des Heiligen Dominik …
Ich überflog die lange, förmliche Anrede.
… empfehle ich Euch diese Gebeine an, gefunden im Besitz von …
Ich las flüchtig die Erklärung, wie er an die Relikte gekommen war, bis ich auf den Satz stieß:
Ich gestehe, dass ich von Zweifeln geplagt werde, denn seit ihrer Auffindung vermag ich nicht mehr zu schlafen.
Ich blickte schuldbewusst auf, wohl wissend, dass Subillais mich beobachtete, dass es seine Absicht gewesen war, mich diesen Brief lesen zu lassen. War dies seine Beichte?
»Nun, und was glaubst du, Bruder Donadieu?«
»Ich glaube … ich glaube, dass es unmöglich ist, die Herkunft dieser Gebeine zu bestimmen, wie du bereits sagtest. Sie sind viel zu alt.«
Der Zweifel ist der Todfeind des Glaubens. Ein Augenblick des Zweifelns konnte die eiserne Gewissheit eines ganzen Lebens zunichte machen. Wie ein Holzwurm bohrt sich der Zweifel auch noch in den mächtigsten Balken und zerstört ihn von Innen heraus. Armer Hector. Der Wurm würde von nun an in aller Ruhe sein Inneres zerfressen, all die Jahre lang, die ihm noch blieben. Und eines Tages, wenn Hector Subillais alt war und seinen Glauben am nötigsten brauchte, würde dieser bei der leisesten Berührung zu Staub zerfallen.
»Wir werden die Knochen nach Rom schicken, mit einer Erklärung, was wir von der Sache halten. Dort soll entschieden werden, was mit ihnen zu geschehen hat.«
Ich konnte mir vorstellen, was passieren würde – die Gebeine würden in der Krypta irgendeiner Kirche und das Schreiben bezüglich ihrer Herkunft in einem staubigen Regal verschwinden.
»Du bist erschöpft, Bruder«, bemerkte ich. »Du solltest ein wenig ruhen.«
Ich griff nach dem Weinkrug, der auf dem Tisch stand, und schenkte einen Becher ein. Subillais nahm ihn ohne ein Wort entgegen. Ich erkundigte mich, ob ich die Schlagläden schließen sollte, aber er schien meine Frage noch nicht einmal zu hören.
»Der Wein wird dich schlafen lassen«, murmelte ich. Bruder Subillais nickte dankbar. Einst hätte er sich gewiss jedes tröstende Wort aus meinem Mund verbeten. Doch es kam mir vor, als läge jene Zeit bereits seit einer Ewigkeit hinter uns.
*
Bruder Subillais erschien weder zur Matutin noch zu den Laudes, und seine Abwesenheit gab Anlass zu aufgeregtem Getuschel. Bruder Subillais erschien auch nicht zur Prim, doch als ich nach dem Gottesdienst aus der Kapelle trat, wartete bereits der Seneschall des Seigneurs auf mich. Sein Gesicht war grau.
»Würdet Ihr bitte mit mir kommen, Vater?«, sagte er.
Ich folgte ihm in das Château zu Bruder Subillais’ Zelle. Der Seigneur hatte Wachen neben der Tür postiert. Ich hastete an ihnen vorbei, und das Herz klopfte mir bis zum Hals.
Bruder Subillais befand sich immer noch in seiner Zelle und zeigte auch keine Neigung, sie zu verlassen, denn er war tot.
Als Erstes fiel mein Blick auf die Füße meines Ordensbruders, da er mit einem Strick um den Hals vom Querbalken des Deckengewölbes hing. Sein Gesicht war fleckig blau, seine Zunge schwarz. Sie wölbte sich aus seinem Mund heraus wie ein vollgesogener Blutegel. Der Stuhl, auf den er geklettert sein musste, um den Strick zu befestigen, war umgestürzt.
Der Seigneur stand mit dem Rücken zu mir am Fenster, genau dort, wo Bruder Subillais wenige Stunden zuvor selbst noch gestanden hatte. Er wandte sich um. Sein Gesicht war ebenso grau wie das des Seneschalls. Doch natürlich war es nicht der Anblick des Todes, der ihm zu schaffen machte. Er fürchtete um seinen eigenen Hals, und das zu Recht.
»Lasst uns allein«, befahl er dem Seneschall und den Wachposten.
Es dauerte einige Zeit, bis er zu sprechen begann.
»Dies ist eine schwierige Situation, Vater.«
Mir fiel nichts ein, was ich hätte erwidern können.
»Es tut mir Leid, dass ich Euch den Anblick nicht ersparen kann, aber ich hielt es für wichtig, Zeugen zu haben.«
Wieder wartete er auf eine Antwort, doch ich brachte keinen Ton heraus.
»Einer Eurer Diener hat ihn gefunden.«
»Oh«,
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