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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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Akten gewidmet. Und das würde er auch noch eine Woche länger schaffen. So einfach war das.
    Also fuhren sie nicht nach Helgoland, sondern nach Oslo, auf der Fähre von Kiel. Sie speisten am skandinavischen Büfett und sprachen wieder einmal die dramatischen Ereignisse durch. Arthur Havelack hatte Schlüter ermutigt und Christa eingeschärft, über das Geschehen, wenn irgend möglich, zu sprechen, damit er den Schock überwinde.
    Schlüter selbst konnte zur Aufklärung des Geschehens nicht viel beitragen, und das war wahrscheinlich gut. Seine Erinnerung riss ab vor der Wohnungstür der Stachowiaks, als er sie gerade öffnen wollte, und sie setzte wieder ein, als er drei Tage später auf der Intensivstation des Hemmstedter Krankenhauses erwacht war, Christa neben sich. Wenig später war ein Mann vom Kriminalkommissariat Hemmstedt erschienen, er hatte von den Ärzten die Erlaubnis erhalten, Schlüter zu befragen, was aber wenig ergiebig war, denn über Kurbjuweit durfte Schlüter keine Auskünfte geben, bis das Siegel der Verschwiegenheitspflicht gelöst war.
    So viel wusste Schlüter: Als Rathjens gesagt hatte, er wolle Horschi Kurbjuweit holen, hatte Schlüter trotz des vielen Wodkas kapiert, dass sein Mandant Horst Kurbjuweit und Kevin Thielpapes Horschi ein- und dieselbe Person waren. Ihm war Kurbjuweits Brief wieder eingefallen, mit dem er sich über die Polen über ihm beschwert hatte, und Kevin Thielpapes merkwürdiger Bericht, der Nachbar Horschi mache jeden Abend um zehn seinen Rundgang im Haus, bewaffnet mit einer scharfen Pistole. Kein Kindergefasel.
    Was dann geschehen war, ließ sich nicht genau rekonstruieren. Als Sigismund in den Flur stürmte, lagen die beiden alten Stachowiaks, mit Kopfschüssen hingerichtet, vor der Wohnungstür. Der Pole wollte sie packen, aber Kurbjuweit jagte ihm eine Kugel in den Arm. Sigismund konnte sich in den Flur zurückwerfen und sorgte geistesgegenwärtig für Dunkelheit. Unter Kurbjuweits Sperrfeuer zerrten die Polen die Toten vom besinnungslosen Schlüter herunter, dann diesen selbst in den Flur und zuletzt Rathjens, der aus zwei Bauchwunden blutete und nach Luft schnappte. Beide hatten wohl nur deshalb überlebt, weil Kurbjuweit das Schießen auf dem Laubengang einstellte, entweder um zu laden, oder weil er sich schon siegreich wähnte, eher aber, weil im Treppenhaus ein kosovarischer Kriegsflüchtling auftauchte, aus seiner Wohnung im dritten Stock, den Kurbjuweit mit einem Herzschuss erledigte; der Mann hatte es noch bis unten vor die Tür geschafft und war dort unter den Augen der eintreffenden Polizei zusammengebrochen. Seine Ehefrau, die ihm nachgeeilt war, lag schwer verletzt im Treppenhaus. Kurbjuweit hatte sich in seiner Wohnung verschanzt und schoss durch die Tür, als man sie öffnen wollte. Nur einer der Polizisten, dem Vernehmen nach ein gewisser POM Schäfer von der Polizeistation in Großenborstel, der als Erster vor Ort war, weil er in Hörweite wohnte, war durch einen Streifschuss verletzt worden. Kurbjuweit ging die Munition aus und man fand ihn dann im hintersten Raum seiner Wohnung, in einer Art Höhle, die nur aus Kartons bestand, eingerollt wie ein Embryo lag er auf dem Bett und wimmerte, die Red Nine mit beiden Händen fest umklammert.
    Drei Tote: ein Herzschuss, zwei Kopfschüsse. Drei Schwerverletzte und ein vorübergehend dienstunfähiger Polizist. Sigismund ging nicht in die Statistik ein, weil er als Leichtverletzter mit Armbinde umherspazierte. Rathjens Gedärm war von zwei Kugeln perforiert worden, eine dritte hatte Schlüters Unterbauch durchquert und die Aorta in seinem linken Bein zerfetzt, bevor sie den Oberschenkelknochen durchschlagen hatte. Christa hatte ihm mit ihrem Schal das Bein abgebunden, bis der Notarzt gekommen war. In der Klinik war er ins künstliche Koma versetzt worden.
    So weit, so klar, so furchtbar.
    Christa ließ sich einen zweiten Aquavit bringen. »Ich hol mir noch etwas Lachs«, sagte sie.
    Es war dunkel geworden. Backbords zogen die Lichter der Insel Fyn vorüber. Am Nebentisch unterhielten sich zwei Norweger und Schlüter spitzte die Ohren.
    Christa kehrte zurück, setzte den Teller ab, schenkte sich Weißwein nach und leerte das Glas, als sei es Wasser.
    »Meinst du, du kannst das vertragen?«, fragte Schlüter.
    »Ich trinke mir Mut an!«
    »Wofür?«
    »Für ein Geständnis!«
    »Was, bist du fremdgegangen, hast du etwas mit dem Postboten angefangen?«
    »Nein, lieber Mann, nie. Aber du weißt noch nicht alles.

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