Die Oder Ich
ich dir, wie ich die Roswitha müde gemacht habe. Erst habe ich sie gefangen, Mann. Gefangen, ja. Ganz für mich, sie war …« Sein Grinsen war zärtlich, kalt und gefährlich zugleich. Ich habe das alles registriert und ich sehe ihn immer noch vor mir.
Was konnte ich tun? Ich konnte nur noch schreien. Nach Hilfe. So laut ich konnte.
»Was is?«
Eine neue Stimme. Der Mann stand am Fußende meines Bettes. Er musste durch die Tür gekommen sein, durch die Tür ohne Klinke. Er trug einen weißen Kittel und hatte einen Stoppelbart.
»Machen Sie mich los!«
»Das geht leider nicht.«
»Warum nicht? Ich will wissen, wo ich bin. Wo bin ich?«
»Sie sind auf der forensischen Abteilung der psychiatrischen Klinik Lüneburg, 3. Stock«, antwortete der Weiße. »Mehr bin ich nicht befugt, Ihnen zu sagen.«
»Foren-, was?«
Ich hatte begriffen. Ich bin nicht dumm. Auch wenn ich kein Abitur habe und nicht studiert bin wie die andern, die jetzt über mich bestimmen. Ein paar Fremdworte kenne ich. Und dann dämmerte es mir. Drei Verrückte waren hier. Und ich sollte der vierte sein. Die Erinnerung an das, was geschehen war, kehrte zurück.
»Aber das geht nicht«, sagte ich. »Ich werde alles erklären, es ist nicht so, wie Sie denken, ich habe nicht …«
»Sagt hier jeder«, unterbrach mich der Weiße müde. »Inklusive des Lenins und der zwei Jesusse, die wir hier haben.« Er wandte sich zum Gehen.
»Und wieso bin ich hier und nicht im …«
»Suizidgefahr. Sie waren ganz schön fertig, als man Sie festgenommen hat.«
Jetzt, während ich dies schreibe, weiß ich es wieder, aber damals, an meinem ersten Tag in der Psychiatrie, war mein Hirn leer.
»Aber ich will …«
»Sie wollen gar nichts. Beruhigen Sie sich. Werden Sie vernünftig. Dann sehen wir weiter.«
Jedes Wort ein Urteil.
Ich muss wohl einen Seitenblick auf die Backpflaume geworfen haben, denn der Weiße ergänzte: »Der ist harmlos. Bringt nur Frauen um, wenn er draußen ist, hähä.«
»Doof wie ein Bauer«, hörte ich noch, dann krachte die Tür hinter dem Mann ins Schloss. Ich hatte vergessen, nach einem Anwalt zu verlangen. Das ist doch das Erste, an das man denken muss, wenn man seiner Freiheit zu Unrecht beraubt worden ist!
»Jetzt will ich dir endlich erzählen, wie ich die Roswitha …«
»Du erzählst mir gar nichts!«, schrie ich.
»Wirst schon hören! Kannst dir nicht die Ohren zuhalten! Ich hab ihr mit dem …«
»Halt die Schnauze, du Wichser, du …«
»Wirst beleidigend, Kleiner, was? Bin kein Wichser. Bist wohl selber ein Wichser. Ich hab’s in echt gemacht mit der Roswitha.«
Ich brüllte aus Leibeskräften, bis sogar der mit den Ascheaugen zu mir hinsah, bis wieder der Weiße vor meinem Bett stand.
»Holen Sie mich hier raus! Ich will …«
»Sagte ich das nicht schon? Hier gibt’s nichts zu wollen, Herr … ähh. Wenn Sie weiter Lärm machen, kriegen Sie ’ne extra Portion, damit Sie wieder ruhig werden. Noch mal, und ich hole den Chef und dann ist es so weit.«
So war das. Du bist eine Nummer. Sie kennen noch nicht einmal deinen Namen. Du bist ohne Rechte. Wie im Mittelalter. Sie können alles mit dir machen. Sie werden alles mit dir machen. Das lernte ich schnell. Was sollte ich tun? Wie hieß dieser Anwalt? Ich hatte viel vergessen.
»Also die Roswitha, die hatte einen Bauch, sag ich dir, einen Bauch, so was von herrlich, und erst ihr Blut, ihr warmes Blut …«
Ich kniff die Augen so fest zu, wie ich konnte, und versuchte, an etwas Schönes zu denken, an die Zeit, als alles in Ordnung schien, aber ich schaffte es nicht, damit gegen Roswithas blutigen Bauch anzukommen. Ich begriff, dass die fremde Frau, die mit ihren schönen Brüsten mein Gesicht gestreichelt hatte, nur ein Traum gewesen war, in Wahrheit aber hatte Kalle der Lustmörder in meinem Gesicht herumgefummelt mit seinen Flossen. Es würgte mich, weil ich fast an ihnen genuckelt hätte, an diesen Eunuchenfingern, und dass ich Mörderfinger und Frauenbrüste nicht hatte unterscheiden können – was gilt eigentlich noch, worauf kann man sich eigentlich noch verlassen, ich hätte mich schlagen können, ich war so dumm gewesen, ich hatte Prügel verdient, und dann fielen mir endlich die Prügel ein, die ich von meinem Vater bekommen hatte, früher, als ich zu klein gewesen war, um mich zu wehren. Wie ich mich geduckt habe unter seinen Schlägen, mit dem Gürtel machte er es immer, über die Sofakante musste ich mich legen, oder über einen Stuhl, er zerrte
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