Die Oder Ich
Mund.
Draußen setzte ein regelrechtes Trommelfeuer ein, Ächzen, Gestöhne und Flüche im Flur, Schreie aus den Waben des Wohnblocks, von oben, von unten, von nebenan.
Die Wohnungstür krachte ins Schloss.
»Weg!«, brüllte Sigismund. »Precz!«
Licht flutete den Raum, Wlodis Hand löste sich von Christas Gesicht, sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus, denn die drei anderen Männer schleiften Schlüter ins Wohnzimmer. Aus seiner linken Leiste pulste das Blut, Schwall um Schwall.
24. Kapitel
In dem wir ein Geständnis hören
Als Christa Schlüter vier Tage später, am Samstagabend nach neun, von der Intensivstation des Hemmstedter Krankenhauses ins Engelsmoor zurückgekehrt und aus dem Auto gestiegen war, trat hinter der Garage eine lange glatzköpfige Gestalt aus der Dämmerung der Büsche hervor und kam hinkend auf sie zu.
»Was machst du denn hier, Diedrich?«, rief sie erschrocken. Bisher hatte sie Bauer Schlichtmann nie geduzt, aber die Situation eignete sich nicht für Distanz und Höflichkeit.
»Ich wollte mal fragen, wie es Ihrem, ähh, wie es Peter geht.« Schlichtmann wischte sich verlegen über die Glatze, die Mütze in der Hand.
»Er ist über den Berg, sagen die Ärzte.«
»Wird er wieder gesund?«, flüsterte Schlichtmann.
»Weiß ich nicht«, antwortete Christa erschöpft. »Noch nicht. Jedenfalls ist er nicht mehr in Lebensgefahr.«
Schlichtmanns Gesicht zuckte, und plötzlich sank er nieder, der lange dünne Mann klappte zusammen wie ein Zollstock, saß auf dem Pflaster der Auffahrt vor dem Haus und weinte, beide Hände vor dem Gesicht. Kater Gustav erschien, wandte sich aber misstrauisch ab.
»Schon gut, Diedrich. Danke dir. Nimmt dich das so mit?« Christa berührte seine Schulter.
Schlichtmann nickte stumm und schluchzte. »Ich bin schuld!«, brach es aus ihm heraus. »Ich!«
»Das musst du mir erklären, Diedrich. Komm. Steh auf. Komm rein.«
Wenig später saßen sie in der Küche am Tisch, Christa hatte Kaffee gekocht, stellte die Becher auf den Tisch.
»Na?«
Schlichtmanns hagerer Kopf war gesenkt, seine Kranzhaare klebten ihm feucht am Schädel, er hielt die Tasse in der zitternden Hand, ohne zu trinken. Mit tonloser Stimme begann er zu erzählen. Am Nachmittag des 19. April, am letzten Montag, habe Henry, »du weißt schon, der Sohn«, an der Straße, an Rathjens Auffahrt, einen Polen getroffen und von ihm erfahren, dass man tags zuvor einige von Rathjens wilden Hängebauchschweinen geschlachtet habe. Man werde sich abends in der Feldstraße zum Schmaus treffen, auch Rathjens werde erwartet; schließlich esse man seine Schweine, da müsse er an dem Gelage teilnehmen. »Die haben den ja noch nie beim Essen erlebt«, Henry habe den Fehler begangen, »das muss ich zugeben«, davon seinem Vater zu berichten. »Und da hat mich die Wut gepackt, ich hab rotgesehen«, denn tags zuvor habe Rathjens seine Tiere ausgetrieben, viel zu früh eigentlich, aber das sei ja typisch, und wegen der maroden Zäune seien die sogleich auf Schlichtmanns Weiden ausgebrochen wie alle Jahre zuvor. »Und dann habe ich ihm aufgelauert, als er los ist.«
Christa ließ den Kaffee kalt werden und wartete.
»Und dann ist er ja nach Manhattan gefahren. Und ich hinterher.«
Schlichtmann habe gesehen, in welches Haus Rathjens gegangen sei, dass er auf dem Laubengang im zweiten Stock aufgetaucht und in welche Wohnung er gegangen sei. Und dann sei er hinterher und habe sich hinter dem Bügelbrett und dem Campingtisch am Ende des Laubengangs versteckt und gewartet.
»Und dann?«
Dann habe er dort gesessen, lange, mindestens bis zehn.
»Und dann?«
»Dann kam Rathjens endlich raus und ich bin auf ihn los. Habe ihm eine gedonnert, dass er umgefallen ist.«
»Nicht geschossen?«
»Nein, nein, ich hatte die Pistole – aber woher weißt du …«
»Egal«, sagte Christa. »Weiter!«
»Irgendwie konnte ich nicht, ich dachte, oder vielleicht habe ich auch gar nichts gedacht, jedenfalls habe ich ihm nur eine aufs Maul gegeben und er ist gleich umgefallen und hat gequiekt wie seine Schweine. Doch dann hat er mich an der Hose zu packen gekriegt und ich wäre fast …, aber ich habe auf ihm gesessen, und dann hat er die Pistole in meiner Hand gesehen und dann haben wir gekämpft, und mit der einen Hand hatte ich ihn am Hals und in der anderen die Pistole. Und die wollte er mir natürlich …«
»Und dann kam Peter raus.«
»Ja.«
»Und dann wollte Peter dir die Pistole wegnehmen.«
Schlichtmann
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