Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
»der Dom«, und seine speckige Grübchenhand liegt auf dem Zugfenster. Lass mich in Ruhe mit deinem Dom, denkt Holler, und er schließt die Augen. Als sich der Zug wieder in Bewegung setzt, holt Diedrich Kaffee.
Diedrich redet über Netzwerke. Er redet über Netzwerke, wie er schon Mitte der Neunziger über Netzwerke geredet hat. Musiker müssen mehr »Networking« betreiben, Kontakte erschließen mit anderen, mit Musikern, mit Veranstaltern, das denke übrigens auch J. C. H. (er spricht es englisch aus), mit dem er telefoniert hat, der ihn grüßen lässt (Didi nickt vielsagend), Networking sei das A und O. Vor dem Zugfenster verliert sich die Stadt wie Tausende andere Städte, Peripherie, Hochhäuser, Antennen, zersiedeltes Land, Straßen, die sich kreuzen, teilen, sich ineinanderschlingen, Kreisverkehre, rund und brezelförmig, und die Asphaltstreifen spiegeln in der Sonne wie Flüsse. Diedrich sagt: Networking. Dieses werde immer noch unterschätzt im Kulturbereich, ein großer Fehler! Hügelland erhebt sich unter blauem Himmel. Diedrich sagt: »Netzwerke sind nicht alles, aber sehr viel.« Holler schließt die Augen und fingiert Schlaf. Wärmestreifen von Licht huschen über sein Gesicht.
Er muss tatsächlich eingeschlafen sein. Als er aufwacht, spricht Diedrich sofort über Maren. Eine nette Maren sei das, und hübsch und so intelligent, und ob er etwas mit ihr vereinbart habe, das will er wissen, und ob man sich in Rom treffe oder in Neapel, denn Maren müsse ohnehin viel reisen, nimmtDiedrich an, hier ein paar Deckenfresken, dort eine Bronzetür. Wie sie über die Kunst geredet habe, das sei spannend gewesen wie ein Krimi, finde er, richtig dumm kam man sich vor.
»Du bist dumm«, sagt Tom. Diedrich deutet ein Lachen an. Am Fenster zieht wieder Vorstadt vorüber, und Palmen zwischen Wohnsilos, identische Hochhäuser in Beige mit Wäscheleinen, die unwirklich schwankenden Blätter der Palmen, dunkelgrün und silbern je nach ihrem Wogen im Wind.
»Du bist dumm, und das hat nichts mit Maren zu tun«, redet Tom weiter. »Lass mich endlich mit dieser Maren in Ruhe. Was weißt du schon?!«, sagt er. »Du weißt nämlich gar nichts, du hast nie etwas gewusst! Du hast immer nur geredet, geredet, geredet, nie etwas gewusst!« Er ist laut geworden. »Du mit deinen Netzwerken!«, schreit er noch, obwohl das mit der Sachlage nichts zu tun hat.
Diedrich steht schweigend auf, holt seinen Koffer von der Ablage, beherrscht zwar, aber keineswegs ruhig, was man an den ruckartigen Bewegungen erkennt, an der Kraft, die er aufwendet, um das Gepäckstück herabzureißen. Dann nimmt er seine Saxofontasche vom Sitz, hängt sie sich um, stopft die zerknitterte Zeitung unter den Arm und stapft in Richtung Tür, aufgrund des Zugrüttelns leicht schwankend, der Koffer stößt an Toms Knie.
»Ach, mach doch, was du willst«, presst er langsam hervor, mit jambischem Rhythmus, und quetscht sich durch die Tür auf den Gang hinaus, wo ein Alter mit Sonnenbrille, rauchend, steht und offenbar an ihrem kleinen Diskurs höchst interessiert ist. Noch einmal dreht sich von Jagow zu Holler um. »Leck mich doch, echt!«, sagt er. Dann ist er weg, indem er die Tür mit einemKrachen zusammenschiebt. So kann er nun auch wieder sein.
Vor dem Zugfenster Rom, Stazione Termini.
BLUMENROULETTE
Ich bin verliebt, ich bin nicht, ich bin verliebt, ich bin nicht, ich bin verliebt, ich bin nicht. Ich bin. Scheiße.
Als sie damals nach Berlin zurückgekommen waren, hatte er sich vorgenommen, alles Geschehene zu vergessen. Schon im Leihwagen, in dem sie schweigend saßen – abgesehen von Diedrichs Geplauder, von seiner geradezu euphorischen Prognose, dass man mit der Musik richtig Geld machen könne, wenn man es nur klug genug anstelle –, hatte Tom sich vorgenommen, diesen Liebesunsinn ein für alle Mal aus seinem Kopf zu reißen. Er wusste, dass Liebe nicht zwingend ist, Liebe muss nicht sein, man kann sie genausogut umgehen, bevor sie sich ohnehin von selbst auflöst. Liebe, sagte er sich, ist durch die Gedankenkraft eines mit Intelligenz ausgestatteten, durch Jahrtausende der Evolution vernünftig gewordenen Menschen zu überwinden. (Außerdem war nichts geschehen, wie er sich sagte, sie hatten ein paar Mal zusammen musiziert, er hatte Betty bei Gelegenheit kurz mit der Hand an der Wange berührt, wie er sie schon oft berührt hatte. Na und.)
Also hielt er sich wochenlang bei Nicki auf, sie hatten Sex, sie gingen spazieren, sie gingen ins Kino, wo
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