Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
öfter Veranstaltungen, wo dann eine niveauvolle Chääsmusik gebraucht werde, die niemanden störe. Tom hatte keine Visitenkarte, aber eine Telefonnummer, die sie sich in ihr Notizbüchlein schrieb, außerdem habe sie ja Diedrichs Nummer. Ob sie auch etwas zum Tanzen im Repertoire hätten?
»Wir spielen alles«, sagte Tom. »Zum Tanzen, zum Stehen, zum Sitzen, zum Scheißen«, sagte er. Dann lächelte er. Auch die Großtante lächelte. Sie hatte sich offensichtlich verhört. »Sehr gutt«, sagte sie mit ihrem sympathischen Rosenheimer Akzent. »Sehr gutt.«
Fortan sprach er mit niemandem mehr. Nicht mit Betty, die ihm allein aus einer entfernten Ecke des Gartens entgegenkam, und er sprach nicht mit Diedrich, der ganz genau wusste, dass Betty Morgenthal einen Freund hatte, er wusste es genau undhatte trotzdem nichts anderes zu tun, als sie hinterrücks zu betatschen, noch dazu in diesem Aristokratengarten, wo weder er noch Betty ihm die hochverdiente Ohrfeige verpassen konnte. Schweigend rollte er Kabel zusammen, manchmal pfiff er, es ging ihn nichts an, Betty konnte machen, was sie wollte, er mochte nur, bitte schön, nichts davon wissen. Man sollte ihm nur seine Ruhe lassen, dachte er, während er schweigend die Kabel und das Mischpult und die Instrumente über den knirschenden weiß leuchtenden Kiesweg zum Leihwagen schleppte, hinter ihm Betty mit der Sackkarre, die so tat, als wüsste sie überhaupt nicht, was los sei.
»Was ist los?«, fragte sie, als alles im Wagen verstaut war. Natürlich hatten sie den Kram zu zweit geschleppt, während Diedrich im gläsernen Wintergarten (genannt »Orangerie«) stand und Konversation machte.
»War ja nicht anders zu erwarten«, sagte Tom. »Dass sich der Herr von Jagow seine Saxofonistenhändchen nicht schmutzig macht.«
Betty hatte die Arme vor der Brust verschränkt, sie hatte sich inzwischen umgezogen, trug eine Jeansjacke. Ein paar Haarsträhnen wehten im Wind. Sie drehte den Kopf, Blick in den erleuchteten Wintergarten, wo Diedrich gestikulierte. Und dann – er wusste überhaupt nicht, wieso – lag sein Handrücken an ihrer Wange, als müsste er die Temperatur ihrer Haut überprüfen, und sie, die zuerst innehielt, dann langsam den Kopf wandte, ihn ansah, erstaunt, mit großen Augen, lief zunächst nicht weg, sondern blieb stehen, und Tom hatte den Eindruck, dass sie ihre Wange seiner Hand um einen Millimeter entgegenneigte, für den Bruchteil eines Augenblicks nur. Dann drehte sie sich um, plötzlich eilig, und ging über den Rasen davon, wobeisie mindestens einmal die Richtung änderte, als hätte sie vergessen, wo sie eigentlich hinwollte.
In dieser Nacht, die sie in einem bayerischen Mittelklassehotel verbrachten, in drei nebeneinanderliegenden Einzelzimmern, träumte er, dass Diedrich und Betty einen hässlichen Säugling zur Welt gebracht hätten, halb Tier, halb Mensch, durch Schwangerschaft Diedrichs, dass sie den Säugling in einem illuminierten Garten taufen ließen, während er selbst, Tom Holler, zusammen mit der Rosenheimer Diedrich-Großtante Musik spielte, die ganze Nacht. Sie spielten Schubertlieder, gesungen von der Rosenheimer Großtante, mit wellblechernem Vibrato. Aber Betty flog mit ihrem alten Bianchi-Rennrad über das Land.
Florenz. Er würde jetzt gerne das Fenster öffnen, sich weit in den Bahnhof hinauslehnen und die mildfarbene Domkuppel betrachten, die Florenzluft prüfen, aber Didi schläft, und er soll schlafen. Didi schlafend ist mehr oder weniger der einzige Didi, der seinen Mund hält. Didi lebt in der Angst, er existiere nur, wenn er sich mitteilt. Deshalb auch das Saxofon. Holler verhält sich ruhig, um ihn nicht zu wecken. Er bleibt sitzen, während die Bremsen ächzen. Ein Aquamineralecocapanini-Verkäufer geht vor dem Fenster auf und ab. Didi bewegt sich, obwohl der Zug steht, er bewegt sich selbsttätig, wacht auf, schüttelt seinen speckigen Kopf mit den fliegenden Locken, um den Schlaf loszuwerden, blinzelt, dann sieht er: Florenz! Er springt auf, öffnet das Fenster, beugt sich hinaus, offenbar begeistert. Warum er ihn nicht weckt? Er gestikuliert, genau wie damals im bayerischen Wintergarten. Vor dem Fenster liegt Florenz, und er, Diedrich, werde nicht geweckt! Holler, der ebenfalls gerneaufstehen und sich hinauslehnen würde, in dieses Florenz hinein, in diese Florenzluft, die schon Süden ist, ohne winterliche Schärfe, lauwarm, er kann es nicht, weil Diedrich das Fenster versperrt. »Schau doch«, ruft Diedrich,
Weitere Kostenlose Bücher