Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
unbequemen Pumps herumstakste, den Säugling im Arm, und ihr Noch-Ehemann im Loden-Anzug, immer einen flotten Spruch auf den Lippen, die Glückwünsche entgegennahm.
Am Abend, nachdem sie noch mehrere belanglose Sets zum Besten gegeben hatten, die von der Gesellschaft, während sie Hummer und bayerischen Schweinebraten und Apfelstrudel verzehrte, komplett ignoriert worden waren, gingen sie erneut zum Seepavillon hinunter, an dem nun Lampions leuchteten, außerdem der Mond, die Schwäne im tropfenden Licht. Sie standen an der Holzbrüstung und tranken Sekt. Tom, bereits reichlich alkoholisiert, so dass er inzwischen wirklich alles urkomisch fand, rauchte und fand es schade, dass Marc nicht dabei war, aber einen Kontrabass hatte man nicht haben wollen, wozu einen Kontrabass?, hatte sich die süddeutsche Täuflingsfamilie gefragt, denn preisbewusst war man trotz des vielen Geldes auch. Was ein Spaß aber wäre es erst mit Marc gewesen, dachte Tom, während er rauchte und beobachtete, wie einer der Schwäne in einer melodiösen Halsbewegung seinen Kopf unter den Flügel steckte, um zu schlafen, und als er die Asche über die Holzbrüstung klopfte, fiel sein Blick zufällig auf Bettys linke Hand, die auf der Brüstung lag, und auf Diedrichs Hand knapp daneben, diese immer schon runde, ein wenig fett wirkende Hand mit Grübchen über den Knöcheln, die im Begriff war, sich auf diejenige Bettys zu schieben, zuerst der kleine Finger, tastend, dann schließlich die ganze Hand auf ihrer.
Tom schloss die Augen, presste die Lider nachdrücklich zusammen, der Alkohol, das Zwielicht, offenbar hatte er Wahrnehmungsstörungen. Er öffnete die Augen, und er sah, wie Bettyihre Hand zurückzog, sie zusammen mit der anderen auf ihren Rücken legte. Leicht wiegte sie ihren Oberkörper, die Augen blickten zum See, als suchte sie etwas. Daneben stand Diedrich, zu nah, wie Tom jetzt bemerkte, und sein Blick klebte auf ihrer Wange, auf ihrem Hals, an ihrem Schlüsselbein, rutschte klebrig über ihren ganzen Körper, wie Tom beobachtete, über diesen Körper, der plötzlich, in diesem dämmrigen Mond- und Lampionlicht, das auf ihr Haar tropfte, darin ein leichter Juniwind wehte, eine Sensation war. Ihr beglänztes Profil, die Stirn mit den bis in die Schläfen spitz zulaufenden Brauen, gerade Nase, ein wenig nach innen geschwungen, der Mund, dessen Oberlippe etwas vorstand, das kleine, aber entschiedene Kinn, darunter die gebogene Linie des Halses, gut sichtbar, weil sie zur Feier des Tages die Haare hochgesteckt hatte, die pulsierende Vertiefung am Schlüsselbein, darüber ein Leberfleck. Ihre Brust in diesem, wie er plötzlich feststellte, doch weit ausgeschnittenen Oberteil. Die nackten Arme, die sie auf dem Rücken verkreuzt hatte. Er kannte das alles, aber plötzlich kam es ihm fremd vor, er sah es zum ersten Mal. Außerdem sah er leider Diedrich, der nach wie vor neben ihr stand und jetzt anfing, ihr etwas ins Ohr zu flüstern, woraufhin sie den Kopf in die andere Richtung, in seine Richtung, neigte, lachend. Er roch ihr Parfum. Auch Diedrich lachte, flüsterte wieder etwas. Er war, wie Tom, etwas kleiner als Betty, nicht viel, er musste also seinen Kopf recken, um zu flüstern, er reckte sich, er flüsterte, und auf Bettys Rücken, über ihren verschränkten Händen lagen schon wieder seine runden speckigen Finger. Tom stellte sein leeres Champagnerglas fest auf die Holzbrüstung, wobei es leider zu Bruch ging und zu Boden stürzte (was keine Absicht war), er drehte sich um und lief über den Rasen davon.
Lief leider einer angeheirateten Großtante Diedrichs mit pergamentenem Dekolleté in die Arme, die die Chääsmusik ganz wunderbar fand. Die Chäasmusik sei nämlich überhaupt nicht so aufdringlich, wie die Musik sonst aufdringlich sei, auch gar nicht so laut, wie die Musik bei solchen Veranstaltungen leider oft laut sei, sei dagegen eher leise und zurückhaltend, was sie wirklich sehr zu freuen schien. Man sei halt nicht immer gezwungen hinzuhören, man wolle sich ja auch unterhalten. Tom schüttete weiteren Champagner in sich hinein, der in hohen Gläsern auf schimmernden Tabletts an ihm vorbei durch die Nacht getragen wurde. Ob man denn davon leben könne, wollte die Großtante wissen, von der Musik? Tom hob die Schultern, in das Dirndl-Dekolleté der Großtante blickend. Ob er eine Visitenkarte habe, wollte sie wissen, denn ihr Mann sei ja nämlich führend im Rotary Club/Distrikt München/Zone Rosenheim, und da machten sie
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