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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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Hier ist ihm die Idee gekommen«, sagte er, »weil er das gesehen hat.« Marc deutete über den Block hinweg auf die Bergkette jenseits des Tals, und nun sah auch Tom: Einer der Gipfel, von dünnen Schneezungen geleckt, hatte exakt dieselbe Form wie der kleine Felsblock am See, pyramidale Spitze, und davor, etwas tiefer versetzt, eine kleinere Spitze desselben Schnitts, die perfekte Wiederholung des Gleichen.
    Als Ulrich und Betty angekommen waren, rauchten sie ein paar Zigaretten und sahen schweigend auf die Gipfel hinaus, heilige Stimmung herrschte und große Stille, nur das Wogen und Klatschen des Sees. Und Bettys Kapuze, die im Wind flatterteund knisterte. Es war kalt, kalt. Sie rauchten, traten ihre Kippen aus und warfen sie in einen frisch geleerten Papierkorb am Wegesrand, dann gingen sie langsam zurück.
    Am Auto angekommen, aßen sie Käse- und Schinkenbrote. Als es zu regnen begann in peitschenden Schnüren und nur noch Fetzen blauen Himmels sichtbar waren, fuhren sie weiter, in Richtung Malojapass. An einem Parkplatz hielten sie, stiegen aus, weil der Reiseführer von einzigartigem Ausblick sprach. Betty, die auf einen großen Steinquader geklettert war, stand und schaute durch Wolkenschwaden nach Italien hinunter, in den Frühling. Tom, während er am Auto lehnte und sie rauchend von hinten beobachtete, ihr Haar, das schräg im Wind wehte, ihren dunklen, durch einen jähen Sonnenstrahl von vorn beleuchteten Umriss, spürte, dass er sich genau dieses Bild aufheben würde, nicht die kilometertiefe, gewaltige Schlucht, den Pass zum Bergell, in den das Hochtal des Engadin hinabbricht, sondern Bettys Umriss im Gegenlicht.
    Langsam fuhren sie hinunter, kriechend, im dritten Gang, über endlose Serpentinen. Ulrich und Betty jammerten hinten, weil ihnen schlecht war. Und es wurde wärmer im Auto, Frühlingsluft strömte herein, als sie die Fenster aufrissen, Kastanienwälder eilten vorbei rechts und links und, sobald sie die Grenzstation passierten, die erste Palme.
    »Das ist echt Italien«, flüsterte Tom. Er spürte von hinten Bettys Hände auf seinen Schultern, für einen Moment.
    Auf der Piazza von Bergamo tranken sie Kaffee. Es war warm. Es war Italien. Ein schläfriger Nachmittag lag ausgestreckt zwischen den Cafétischchen. Etwas Wind fing sich in der Markise, zupfte am karierten Tischtuch, ein Aschenbecher füllte sich langsam.
    Tom verschränkte die Arme hinter seinem Kopf, schloss die Augen, atmete tief ein, atmete tief aus.
    »Wenn ich wüsste, dass das stimmt mit der ewigen Wiederkehr, würde ich jetzt mal so langsam Schluss machen«, sagte er.
    »Hm?« Betty blinzelte schläfrig.
    Tom führte langsam den Daumen im Halbkreis an seiner Kehle entlang, bog die Mundwinkel nach unten.
    Ulrich blies einen Kringel über den Tisch. Betty runzelte die Stirn und schob ihre Hände unter die Oberschenkel. Marc nahm seine Sonnenbrille ab, die aus Versehen im Aschenbecher landete.
    »Versteh ich nicht«, sagte er, blies Ascheflocken von der Brille.
    »Warum sollte man alt und traurig werden?«, sagte Tom, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, die Beine übergeschlagen. »Warum alt werden, wenn sich sowieso alles wiederholt? Kann man sich das Alter auch sparen, oder? Was kommt denn schon: Krankheit, Traurigkeit, Einsamkeit und so weiter. Sorgen, wie leg ich mein Geld an … Außerdem ist bisher nichts besonders Schlimmes passiert.«
    Betty und Ulrich lachten. Marc hörte durch ihr Lachen hindurch, angestrengt, als gäbe es in einem imaginären Orchesterklang einen falschen Akkord. Er schüttelte den Kopf.
    »Wieso nicht?«, fuhr Tom fort. »Wenn du einen Loop produzierst, verwendest du auch nur die gelungenen Passagen und schmeißt den Mist weg.«
    Marc schüttelte den Kopf. »Weil es nicht stimmt«, sagte er. »Weil es Quatsch ist. Er hat es sich ausgedacht, weil er die Zeit nicht ertragen hat«, sagte er in scharfem Ton, der Tom unangemessen erschien. »Aber man kann nichts rückgängigmachen. Ein Glas, das runterfällt, ist kaputt und bleibt kaputt.«
    Man könne fast alles rückgängig machen, sagte Tom. Einen Akkord könne man modulieren, auflösen, umkehren, deswegen mache man doch Musik.
    Marc hypnotisierte seinen Kaffeerest, aber davon vermehrte er sich auch nicht. Er musste jetzt doch lächeln, verscheuchte mit einer Handbewegung eine Fliege, die sich auf dem Rand der Tasse die Beine putzte. »Vor allem doch wegen der Frauen«, sagte er und bekam dafür von Betty eine Ohrfeige. Er aber, lachend, hielt

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