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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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hat, er würde auch bleiben an seiner Stelle, was will er in Luzern?
    Was will er am Comer See, denkt Tom, als er zusammen mit Betty dem Hollerschen Opel hinterherwinkt, der blinkend zur Uferstraße kriecht, und, als sich eine Verkehrslücke öffnet, in einer dünnen Staubwolke davonrauscht. Marcs Hand, die arglos aus dem geöffneten Fenster grüßt, bis der Wagen hinter der nächsten Kurve verschwindet.
    Betty sieht aus, als hätte sie etwas vergessen, während sie steht und schaut mit ihrem alten Rucksack, der halb von ihrer Schulter herabhängt, die baumelnden Turnschuhe rechts und links, als hätte sie etwas im Auto vergessen.
    »Tja, also dann«, sagt sie, dreht sich zu Tom. Erst in diesem Moment scheint er ihr wieder eingefallen zu sein. Er aber schneidet ihren Blick mit einem schnellen Senken seiner Lider ab.
    Sie reden kaum, als würden sie sich nicht kennen, während sie ihre Zelte auf dem Rasen aufbauen, in Ufernähe. Es herrscht wenig Betrieb um diese Jahreszeit, aber Mittagshitze schon. Unvorstellbar sind die matschigen Schneeinseln im Engadin oben, das Luftlinie nicht weiter entfernt ist als 50 Kilometer. Sie räumen, räumen, breiten den grünen und den blauen Kunststoff auf der Wiese aus, kramen nach Haken und Schnüren, falten und legen, indes Tom unausgesetzt überlegt, wie nah oder wie entfernt er nun sein Zelt aufbauen soll. Schließlich werden es circa fünf Meter Abstand, die er durch ein Ziehen am grünen Kunststoffquadrat herstellt.
    Ein blaues Igluzelt, ein grünes Pyramidenzelt. Es dauert lange, bis sie stehen. Marcs Zelt ist nie vorher aufgebaut worden, riecht fabrikneu. Tom hasst es, Zelte aufzubauen, er hat esimmer gehasst, er hasst es auch jetzt, aber er liebt Betty, wie er plötzlich denken muss, als sie inmitten des blauen Kunststoffquadrats steht, über ihrem Kopf eine windige Steckkonstruktion haltend, im Mund einen Hering. Sehr genau studiert er die Zeltaufbauanleitung und versucht, sehr genau an den Zeltaufbau zu denken, aber die Haken und Ösen verdrehen sich auf dem Papier, stehen quer und zusammenhanglos nebeneinander, nichts scheint ins andere zu passen, die Welt steht in Einzelteilen, und Betty, noch immer die Steckkonstruktion über ihrem Kopf haltend, bekommt völlig unmotiviert, wie er findet, einen Lachanfall.
    Als er sich bückt, um einen Hammer für die Heringe aus dem Nylonsack herauszusuchen, berührt er versehentlich ihre Hand, die offenbar ebenfalls irgendetwas in diesem Nylonsack zu tun hat. Er fühlt den Handrücken, ihren Unterarm, der an seinem Arm entlangstreicht, die feinen Härchen. Dann ein Blick, der erste Augenblick seit Tagen, weil keiner von beiden rechtzeitig die Lider senken kann, zu spät, wie er denken muss, Augen aus Licht, bernsteinfarbenes Licht.
    »So.« Tom steht breitbeinig und sucht in seinen Hemdtaschen nach Zigaretten, Gesicht zum Bergpanorama. Er geht mal zum See runter, sagt er dem Bergpanorama, und gräbt aus seinem Rucksack die Badehose, ein Handtuch, ein Buch, dann wendet er sich ab, läuft weg, nur weg von ihr, mit dem Handtuch über der Schulter, und läuft über die Wiese, die schon sommertrocken wird, beige an manchen Stellen, vorbei an vereinzelten Zelten, Wohnmobilen. Eine dicke Familie sitzt um einen weißen Plastiktisch. Ein Radio spielt, daneben hängt eine Frau Wäsche auf eine Leine, gestreifte Handtücher, die sich im Wind beulen, im Gras ein bellender Hund, Jack Russell Terrier, dereinem Tennisball hinterherhetzt, ein schlappender Mann in Badelatschen, geblümter Kulturbeutel, zum Toilettentrakt strebend, zwei fette Kinder, Federball spielend, was sie offensichtlich nicht beherrschen.
    Und endlich der See. Träge liegt er im Sonnenlicht, es ist Mittag. Er zeigt nur feine Kräuselung, hellglitzernd wie eine Fläche ausgeschütteter Glasscherben.
    Tom geht ein Stück am Ufer entlang, setzt sich unter einen Baum. Während er sich eine Zigarette anzündet, denkt er, dass Campingplätze grauenhaft sind, dass ihm Campingplätze eigentlich schon immer zuwider gewesen sind. Er raucht und drückt seinen Rücken in die harte Rinde des Baumes. Die täglichen Verrichtungen fremder, dazu hässlicher Menschen sehen zu müssen, ihre Wäsche jeden Tag, Unterwäsche, Bikinis auf Wäschespinnen, ihre Kulturbeutel, ihre Rasierapparate, ihr nacktes weißes Geschirr, das sie vor aller Augen spülen, ihre praktischen Badelatschen, ihre Stühle, ihr elektrisches Licht, das ganze Praktische dieses Lebens. Das ganze Organisierte dieses Lebens. Man

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