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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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braucht nur die passenden Utensilien, sagen ihre täglichen Verrichtungen, und eine gewisse Begabung zum Praktischen, dann ist das Leben ja so praktisch und darüber hinaus einfach.
    Er starrt auf den See. Nichts ist einfach, denkt er. Raucht eine weitere Zigarette. Eine Zikade kratzt ein kleines Bratschenkonzert. Eine andere schließt sich an, sie spielen eine hübsche winzige Fuge, und Tom beruhigt sich. Selbstverständlich, sagt er sich, hat es keinen Sinn, jetzt noch nach Luzern zu fahren, wo die Zelte einmal aufgebaut sind, also wird er bleiben, wird auf den See hinausschauen.
    Als er keine Lust mehr hat, auf den See hinauszuschauen,was ziemlich schnell eintritt, nimmt er sein Buch und beginnt darin zu lesen. Aber wer kann sich auf Musil konzentrieren unter einem Baum sitzend, in der Mittagshitze? Also zieht er sich aus, streift die Badehose über, nicht ohne kurz seinen Bauch zu überprüfen, der ihm relativ weiß und dick vorkommt, und läuft zum Rand des Wassers hinunter. Es ist kühler als erwartet.
    Weil er annimmt, dass Betty ihn beobachten könnte, geht er auf einen langen Holzsteg hinaus und wirft sich ohne Zögern mit Kopfsprung hinein. (Er, der sonst minutenlang im knietiefen Wasser steht und überlegt.) Es ist kalt. Er taucht in die glucksende Stille hinunter, er schwimmt unter Wasser mit kräftigen Zügen. Er nimmt sich vor, nicht wieder aufzutauchen aus blaugründunstiger Stille, nichts hören, nichts wissen. Nichts atmen leider auch. Er sieht seine Arme, die Beine, die ihm fremd erscheinen, weiß und besiedelt mit Luftbläschen, unter ihm Tiefe, ein Fischschwarm, der flink die Richtung ändert. Dann bricht er durch die Oberfläche, atmet ein, indem er seinen Kopf, das Haar zurückwirft, das ihm die Sicht versperrt. Er dreht sich, sieht aufs schwankende Ufer, auf den Campingplatz in der Ferne, hört Menschenlärm, Lachen, von fern, und er erkennt Betty, die auf dem Steg sitzt, den Kopf in den Nacken gelegt. Also dreht er sich wieder und schwimmt weiter hinaus, im Zweifelsfall weg von ihr, denkt er, mit gleichmäßigen Zügen. Von Zeit zu Zeit spürt er wärmere Ströme, die wie Schleier an seinem Körper entlangstreifen, dann wieder Kälte. Er schwimmt, das andere Ufer scheint nah, eine Insel vielleicht, und Sonnenlicht liegt auf dem Wasser, und einzelne weiße Funken, die auf den Wellen springen, dazwischen dunklere Senken, in der Ferne ein Segelboot, eine Straße schwankender Bojen. Ein Schwan auch. Ein Motorboot, das relativ nah an ihm vorüberpeitscht.Dann wieder sind seine Schwimmzüge lauter als alles andere, das Rauschen, wenn er mit dem Kopf ins Wasser taucht, sein Atmen beim Auftauchen, das kräftige Schlagen seiner Arme. Er schwimmt, aber das gegenüberliegende Ufer kommt nicht wesentlich näher. Das Bergpanorama wird nicht deutlicher, die hellen Flecken der Villen, Pinien, Hügelbläue. Es ist sinnlos, er kehrt er um, weil er seine Arme spürt. Die Muskeln schmerzen, werden müde, der Nacken steif. Leider ist das Campingplatzufer nur undeutlich sichtbar, kein Steg, keine Betty, nur in die Ferne getupfte Punkte, aber er hat keine Lust mehr zu schwimmen.
    Er stellt fest, dass er gegen die Strömung schwimmt, eine Strömung in einem träge glänzenden See hätte er nicht für möglich gehalten. Aber sie ist vorhanden, das Wasser stemmt sich gegen ihn. Sein Atem wird flach, er keucht, hat das Gefühl, keinen Zentimeter vorwärtszukommen, nur unwesentlich seeabwärts, nicht aber zum Ufer. Er keucht, seine Bewegungen werden unkoordiniert, nachlässig, kein Wunder, zwingt er sich zu denken, dass man so nicht vorwärtskommt, eine Welle klatscht an sein Kinn, er verschluckt sich, hustet, und plötzlich muss er sehr genau an die dunklen Fischschwärme denken, an die Tiefe unter sich. Er schnappt nach Luft. Hinter ihm surrt ein Motorboot. Er könnte winken, um Hilfe rufen, aber es ist lächerlich, in einem See zu ertrinken, ohne Wellengang.
    Er muss nur aufhören zu denken, nur seine Kräfte sammeln, er muss die Bewegungen koordinieren, seine Atmung. Es ist eine Frage des Willens, eine Frage der Vernunft, denkt er und an Breitenbach und dessen Kekse, er denkt an die Verzweiflung, über die Breitenbach spricht, aber er ist nicht verzweifelt, nurmüde. Die Verzweiflung, sie scheint zu verschwinden, wenn existentielle Müdigkeit oder Angst oder Gefahr sich einstellen, denkt er und fängt an zu überlegen, ob dies ein zu verallgemeinerndes Gesetz sei, aber schon fließen die Gedanken aus seinem Kopf,

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