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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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schüttelt wieder den Kopf. Ihr Blick aber fixiert ihn, feindselig fast, und plötzlich schnellt ihre Hand nach vorn, schlägt in sein Gesicht, und er packt ihren Ellbogen, drückt ihren Körper gegen die Wand, hält ihre Arme fest, rechts und links neben ihrem Kopf, den sie wütend schleudert, aber als er sie loslässt, ziehen ihre Hände sofort an seinem T-Shirt, ziehen ihn an sich, gleiten unter das T-Shirt, während ihr Mund den seinen sucht.
    Sie schlafen im Stehen miteinander, für alles andere ist zu wenig Zeit. An die Wand des Toilettentrakts gelehnt, ihre Oberschenkel wie eine Zange um seine Hüften gelegt. Keuchend bleiben sie stehen, ineinandergefaltet, im rechteckigen Schein des Neonlichts, das wieder aufgeflackert oder nie ausgegangen ist. Sein Kopf liegt an ihrem Hals, sie schwitzen beide. Von fern nähert sich das Schlappen von Badelatschen.
    »Hast du eine Zigarette?«, fragt sie.
    »Komm«, sagt er, zieht sie hinter die Baracke, in den Wald, und hinunter zum See, Hand in Hand, er darf sie nicht loslassen, denkt er, wenn er sie loslässt, ist alles vorbei, ist das, was sich eben ereignet hat, nie geschehen.
    Sie hocken am Ufer, rauchen Wolken in die Nacht. Viel Luft ist zwischen ihnen, und sie senden Blicke in den Himmel hinauf, aber in verschiedene Richtungen, der Himmel ist ja groß genug zum Glück. Sie sitzen da wie zwei Fremde, die zufällig im Supermarkt mit beachtlicher Wucht gegeneinandergestoßen sind.
    »Der Große Wagen«, sagt Tom mit belegter Stimme, um etwas zu reden, und jetzt findet er es schade, dass er so wenig von Sternbildern weiß, wie schön könnte man einer Frau Sternbilder erklären, die ganze Nacht.
    »Kassiopeia«, fährt er fort. Aber Betty weiß es besser, jetzt beginnt sie, ihm die Sternbilder zu erklären, obwohl dies traditionsgemäß eigentlich Männersache wäre: Großer Bär, Kleiner Bär, Jagdhunde, darüber hinaus Herkules, kehrt einfach die Welt um, während sie hinausdeutet, da- und dorthin, und er, sprachlos, nicht in den Himmel schaut, sondern auf ihre Wange von der Seite, auf ihren Hals, ihr Haar, das ihr kleines Ohr freilässt, das er unbedingt küssen muss, bevor der Tag kommt.
    »Man könnte fast denken, dass sie uns zuschauen«, flüstert sie, wendet das Gesicht zu ihm, ertappt ihn dabei, dass er sie anstarrt, nicht die Sterne.
    »Das tun sie auch«, sagt er, um etwas zu reden.
    »Sicher?«
    »Sicher.« Er sucht ihre Sommersprossen, ihnen möchte er Namen geben, nicht den Sternen. Fährt mit dem Finger im Zickzack über ihr Schlüsselbein, »Großer Wagen, Kassiopeia«.
    Sie, mit einem Wimpernflattern, drückt ihr Kinn auf die Schulter.
    »Wenn, dann finden sie uns sicher ganz schön lächerlich, mit unserer ganzen Einteilerei«, sagt sie, um auf die Sterne zurückzukommen. »Sie müssen uns lächerlich finden, mit unserem Ordnungsfimmel.«
    »Uns?«, fragt er und lacht. »Wohl kaum.«
    »Den Menschen an sich«, sagt sie, nach wie vor ernst, Arme um die Knie geschlungen.
    »Ach so, an sich.«
    »Der Mensch hat Angst vor der Unordnung, besonders am Himmel. Deswegen hat er sich hingesetzt und alles eingeteilt: »Ihr da drüben«, sagt sie, »ihr seid ab jetzt der Große Wagen, und ihr, ihr seid jetzt die Kassiopeia, okay, und ihr seid Herkules.« Betty malt im Himmel mit der Glut ihrer Zigarette.
    »Irgendjemand muss schließlich Ordnung machen.«
    »Vielleicht.«
    »Vielleicht sind die Sterne total begeistert, dass endlich Ordnung herrscht.«
    »Vielleicht.«
    »Dass sie endlich mal jemand sieht und auch noch schön findet«, sagt er zu ihren Lippen. Er nimmt ihre Hand.
    »Das darf nicht mehr passieren«, sagt sie.
    »Ja«, sagt er.
    »Nie mehr.«
    Dann beugt sie sich zu ihm, schiebt seinen Oberkörper zurück, ihr Haar fällt auf sein Gesicht, sie küsst ihn. Anders jetzt, langsam, bedeutsam. Auf seinen Hüften sitzend, kreuzt sie die Arme, zieht ihr T-Shirt aus, Sternenlicht fließt über ihre Schultern, die Brüste, über ihren Bauchnabel, und in diesem Moment ist Tom davon überzeugt, dass die Zeit hier endet, sie bleibt stehen, weil sie einmal stehen bleiben muss , und kein Morgen, niemals.
    Trotzdem: Irgendwann steigt die liebe Sonne über die Hügel, tut, als hätte sie von all dem nichts mitbekommen. Die liebe Sonne ist eine Ordnungsfanatikerin, schlimmer als der schlimmste Campingplatzbewohner, eine Erbsenzählerin, grauenhafte Bürokratin, und steigt pünktlich über den See. Betty und Tom, die noch einmal hinausgeschwommen sind, starren auf die

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