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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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Hosenbeinen, und wie sie so kniet, kann er in ihren Ausschnitt schauen. Nicht allein deshalb probiert er viele weitere Hosen an, an diesem Nachmittag, er probiert fast alle Hosen dieser Boutique, so kommt es ihm vor, durch, weil Marina alle Hosen dieser Boutique nach und nach anbringt und sagt, dass er sie anprobieren soll, und er kann ihr nichts abschlagen, außerdem ist es vergleichsweise angenehm in der Boutique, klimatisiert, vergleichsweise leer, und Marina kümmert sich um ihn, sie zupft an ihm und nestelt, und er ist nicht allein.
    Die Jahre mit Marc aber, denkt er einmal, als er seine Beine mit dunklen Jeans im Spiegel betrachtet, waren die Zeit, da ihm die Zukunft wie ein strahlender Morgenaufgang unter der Türritze entgegenleuchtete. Aber Marina, wie sich später herausstellt, heißt übrigens Claudia.

SILVAPLANA
    »Immer noch Musil?«, fragte Marc. Tom, fast erleichtert, dass die Warterei zu Ende und die Gegenwart in Form seines Freundes eingetroffen war, klappte das Buch zu, in dem er nicht gelesenhatte, nickte und sah den Schwaden von Marcs Zigarette hinterher, die an ihm vorüberzogen in Richtung See. Mückenschwärme hingen über dem Wasser. Scheinbar unbewegt.
    Ob es gut gewesen sei in Luzern, wollte Betty von Marc wissen, indem sie ihm eine Haarsträhne von der Wange strich, und Tom, der nur mit einem kurzen Seitenblick hingesehen hatte, fragte sich, wo die Unschuld herkam, mit der sie aus ihren länglichen Bernsteinaugen offen, fast zärtlich herausschaute.
    Marc, erhitzt von der Fahrt, wollte zuerst ins Wasser. »Was ist? Kommt jemand mit?« Betty und Tom zeigten sich unschlüssig. Ein Ins-Wasser-Gehen erschien ihnen irgendwie nicht angebracht. Daher blieben sie sitzen, kneteten Gräser in ihren Händen, während Marc sich bis auf die Shorts auszog. Als er zum Ufer ging, betrachtete Tom seinen schmalen weißen Rücken, die knapp schulterlangen Haare darüber und den halbrunden Streifen dunklerer Haut, wo der Ausschnitt des T-Shirts verlief. Viel zu nah spürte er die Anwesenheit Bettys neben sich, obwohl Marcs leerer Platz zwischen ihnen lag, Leere aus Sand, aus Grasbüscheln, einem verblichenen Capri-Eispapier, das Tom jetzt aufhob, in seinen Fingern drehte, um sie zu beschäftigen. Dennoch entgingen ihm nicht Bettys Arme, die Knie, die goldenen Flaumhärchen.
    Weil sie, wie vereinbart, zum Wandern ins Engadin hinaufwollten, bauten sie die Zelte ab, in denen niemand geschlafen hatte. Aber Marc legte auf dem staubigen Parkplatz den Arm um Toms Schulter, bezog die in der Luft liegende Sentimentalität offenbar auf den Abschied, während sie, ans Auto gelehnt, rauchend ein letztes Mal auf die Spiegelscherbe des Sees hinaussahen und auf Betty warteten, die noch aufs Klo gegangen war.
    Tom fuhr, und Marc saß vorn neben ihm und erzählte von Luzern. Von der Stadt, von der schweizerischen Makellosigkeit, dass man dort eigentlich gar keine Neue Musik spielen könne.
    »Und dein Quartett?«, fragte Tom.
    »Gute Musiker, Schweizer«, sagte Marc. Dann schwiegen sie. Die Serpentinen des Malojapasses krochen sie im zweiten Gang hinauf, das Auto röhrte. Sonnenlicht strömte ins offene Fenster, über Marcs Knie, die fast vorn an der Ablage anstießen. Das Vanillebäumchen pendelte, schlug an den Rückspiegel, darin eingerahmt war Betty mit dem Blick aus dem Fenster. Ein riesiger Lastwagen, dessen Fahrer die Kurven offenbar gewohnt war, donnerte herab, schleifte ein dröhnendes Hupen hinter sich her. Und die hereinströmende Luft wurde dunkler. Marc schloss das Fenster. Über den Gipfeln bedeckte sich der Himmel mit Wolken, als hätte er genug davon, ständig angeglotzt zu werden.
    Als sie in Silvaplana ankamen, dämmerte es schon. Sie parkten das Auto auf einem leergefegten Platz nahe der Kirche, stiegen aus, fröstelnd in ihren Sommer-T-Shirts wie Südsee-Urlauber in Februarkälte zurück auf dem heimischen Flughafen. Sie zogen ihre Jacken aus dem Kofferraum, liefen unschlüssig durch die gereinigten Straßen, vom Wind geschoben. Am Ende jeder schmalen Gasse stand mit verschränkten Armen das Bergmassiv, über den Gipfeln aber brannten, rauchten die Wolken.
    »Morgen wird es schön«, sagte Marc, »wir können wandern.« Sein Gesicht vor dem Himmel war dunkel und weich im schrägen Gegenlicht, flatterndes silbriges Haar, und Tom würde es aufbewahren in seinem Gedächtnis, auch dieses Bild im Halblicht, als eines der letzten Marc-Bilder in riesiger Vergrößerung, was er da noch nicht wissen konnte, weil es

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