Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
beispielsweise, was ihm nicht gelingen will, weil, wie soll er Zukunft denken, denkt er, etwas, das nicht existent ist, viel weniger noch als Gegenwart und Vergangenheitzusammen, sagt er sich, während er mit den Beinen ins Wasser tritt, um aufrecht zu bleiben, und in die Leere des Himmels blickt, jedenfalls kann er es nicht, schon gar nicht in diesem schwankenden Nachmittagslicht des Sees.
Er watet zurück, setzt sich unter seinen Baum in den Schatten. Den verbleibenden Tag bis in den Abend versucht er, Musil zu lesen, genau genommen liest er auch Musil, er liest, er blättert, aber ein Sinn will sich nicht einstellen, trotzdem tastet er mit den Augen Buchstaben für Buchstaben ab, schafft auf diese Weise an die hundert Seiten. Später geht er ein Stück um den See, beobachtet, wie rotes Licht aufs Wasser fällt, auf glühende Segelschiffe, rauchiges Bergland. Er findet ein paar Muscheln, wirft aber alle wieder weg, nur eine hebt er auf, eine grasgrüne, spitzhäusige, winzig kleine, die er Betty bringt. Wortlos nimmt er ihre Hand, als sie am Zelt steht und eben ihren Bikini zum Trocknen über eines der Seile gehängt hat (sie haben natürlich keine Wäscheleine, auch keine Wäschespinne), nimmt schweigend ihre Hand, öffnet sie und drückt die Muschel hinein.
Weil sie weder Stühle noch Essgeschirr noch Kochtöpfe mitgebracht haben, aber wie alle Menschen essen müssen, setzen sie sich am Abend in das neonerleuchtete Campingrestaurant, »Gardenia – Food«, bestellen Spaghetti und reden übers Wetter. Das Wetter, denkt Tom, es ist wirklich ein sehr ergiebiges Gesprächsthema, und er ist eigentlich dankbar, dass es das Wetter gibt. Er überlegt sich, was die Menschen am Äquator reden, vielleicht schweigen sie dort, oder sie reden tagaus, tagein dasselbe. Dass er jemals mit Betty Morgenthal über das Wetter sprechen würde, hätte er nicht für möglich gehalten. DasWetter, so der Grundtenor ihrer Unterhaltung, ist jedenfalls schön, für Mai ausgesprochen warm, und gar kein Vergleich zum Engadin, »nein, echt unglaublich«, sagt Betty. Sie trinken Wein, beobachten durch die große Glasscheibe die schwimmende Dunkelheit draußen, sie, die einzigen Gäste, während sich der Wirt mit einer italienischen Fernsehserie über Wasser hält.
»Ich wollte dich was fragen«, sagt Betty plötzlich.
Tom hat an seinem Unterarm aber eine rote Stelle entdeckt (Sonnenbrand? Ein Mückenstich?), die er untersuchen muss. »Hm?«, sagt er, seinen Arm betastend.
»Würdest du mich für einen Liederabend begleiten, für mein Abschlussvorsingen?«
Tom nimmt einen Schluck Wein, verschluckt sich, muss husten. Betty klopft auf seinen Rücken, Tom nimmt noch einen Schluck, zündet sich eine Zigarette an. »Hm.«
»Ich dachte, wenn du jetzt vielleicht wieder mehr Zeit hast, nach den Prüfungen …«
»Kommt drauf an«, sagt er.
»Auf was?«, fragt sie.
»Ich bin in nächster Zeit wahrscheinlich nicht da.« Tom beobachtet, wie Zigarettenrauch ins Neonlicht aufsteigt. Eine der Röhren flimmert, zuckt.
»Aha?«
»Ich geh wahrscheinlich auf ein Schiff, Kreuzfahrt«, erläutert er und nickt, als ob er es vor sich selbst bestätigen müsste. »Erst mal ein halbes Jahr, dann mal sehen«, sagt er.
»Warum?«, Betty neigt und schüttelt gleichzeitig ihren Kopf, als hätte sie Wasser ins Ohr bekommen.
»Tja, warum?« Er betrachtet den schmutzigen Turnschuh,der auf seinem Knie liegt, wippend. »Um Geld zu verdienen, vielleicht?«
»Das ist doch bescheuert«, sagt Betty. »Du kannst doch auch anders Geld verdienen.«
»Klar. Bei Autohauseröffnungen in Eisleben oder was?« Tom fährt mit dem Finger den Rand seiner Sohle nach.
»Und was ist mit der Band?« Betty nimmt sich jetzt auch eine Zigarette, verschleiert ihr Gesicht, schmale Augen, mit Rauch. »Hast du es Marc schon erzählt?«
Tom schüttelt den Kopf. Reibt immer noch an seinem Schuh, wodurch seine Finger schwarz werden. »Es ist ja auch noch nicht raus«, sagt er. »Sag ihm bloß nichts.« Er starrt weiterhin auf seinen Schuh, dann nimmt er sein Glas, das fast voll ist, trinkt es in einem Zug aus, knallt es auf die Tischplatte, steht auf. »Gute Nacht«, sagt er. Einen Atemzug lang schaut er ihr ins Gesicht, das plötzlich die Konsistenz verändert, es sieht aus, als schmölze es, als zerflössen die Linien, wahrscheinlich liegt es am Zigarettendunst.
»Gute Nacht«, wiederholt er und läuft davon.
Später hört er, wie Betty den Reißverschluss ihres Zeltes öffnet,
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