Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
Vom Netzwerk:
fängt die Wanderung doch erst an!«, sagt er ruhig lächelnd, und plötzlich denkt Tom, dass er es weiß. Er weiß alles. Tom schluckt, würgt diesen Gedanken hinunter. Er kann es nicht wissen, sagt er sich, außerdem ist nichts geschehen. Man muss die Ereignisse nur vergessen, dann haben sie nicht stattgefunden.
    Aber Marc will auf den Gletscher, sagt er, denn dort oben ist schließlich die Sonne, er will ins Licht hinauf, wenigstens noch eine halbe Stunde.
    »Wir müssen auch wieder den ganzen Weg zurück«, sagt Tom mit trockener Stimme.
    »Tom, es ist früher Nachmittag. Wir haben den ganzen Tag Zeit!«
    Also gehen sie auf den Gletscher, obwohl der Wanderweg hier endet und das Betreten auf eigene Gefahr ist, wie sich die Schweizer Tourismusindustrie in großen Lettern auf einer weiteren Tafel versichert. Es ist einladend, muss Tom zugeben, wie die Schneewatte des Berges noch immer im Sonnenschein wogt und hinter dem weißen Gipfel ebenso weiße Wolken aufwirbeln.
    Der Gletscher strahlt Kälte ab, knirscht unter ihren Schritten. Man hört das Rascheln des Tauwassers unter dem Eis.
    »Was sind wir anderes als Sandkastenkinder«, sagt Marc, über die Schulter. Tom schweigt, da ihn dieser Professorenton langsam nervt.
    »Wir machen nichts anderes als spielen. Wenn wir unsere Musik machen – die, wenn wir ehrlich sind, übrigens meistens komplett belanglos ist –, dann vergessen wir alles um uns, wie das Kind, das seinen Legoturm baut, oder der Hund, der einem Ball hinterherrennt. Weil wir unbedingt Musik machen müssen !«
    »Na und?«, fragt Tom.
    »Wir sind imstande, alles zu vergessen, komplett.«
    »Na und?«, wiederholt Tom. »An was willst du denn stattdessen denken?«
    »An Nützliches.«
    »Und das wäre?«
    »Geldverdienen.«
    Tom bleibt stehen, Marc auch. Rauschen des Eiswassers unter ihren Füßen. Bis Marc in Lachen ausbricht. »War ein Witz, Mensch!«
    Tom schüttelt den Kopf über Marc, stapft aber weiter, ihm hinterher, der schon wieder redet. Der Schnee wird tiefer, harschig, und Marc sagt, soweit er es verstehen kann, dass der Künstler im Allgemeinen einfach jemand sei, der nicht erwachsen werden wolle und könne. Die Kunst also ein Defizit. Weitüberschätztes, vollkommen missdeutetes Defizit.
    Das Sonnenfeld nähert sich kaum, obwohl sie den Berg geradezu hinaufrennen. Tom hat bereits jetzt nasse Füße.
    »Was willst du denn machen?«, fragt er, indem er Marc hinterherkeucht, der wie immer einen halben Meter vor ihm geht. Hinter dem Gipfelmassiv steht jetzt ein zweites Gipfelmassiv aus Wolken, aber es treibt, eilt nach Norden, auf die dunklere Seite der Welt. Neue Wolken folgen, sind unerschöpflich, überlagern, verdicken sich, werden träger und bedecken die Hälfte des Himmels.
    »Nimm mal an, es würde etwas Furchtbares passieren«, sagt Marc wieder sehr laut, indem er hart die Buchstaben artikuliert, als müsste er sie aus einem Steinbruch herausmeißeln. Jetzt aber, gegen das ständige Wasserrauschen, ist die Lautstärke endlich angemessen, die Umgebung scheint sich seiner Stimme angepasst zu haben. »Nimm an«, sagt er, »etwas Furchtbares geschieht, jetzt, heute, in diesen Tagen, in diesem Moment, wo wir beide hier rumlaufen und quatschen, oder es ist letzte Woche passiert«, er holt tief Luft, »wo wir Musik gemacht haben – eine Naturkatastrophe, ein Krieg. Wir würden es nicht mitbekommen.«
    »Nein.« Was soll Tom auch sagen. Er will zurück. »Marc«, sagt er. »Wir sollten langsam zurück. Es zieht zu, ich hab echt keinen Bock, in den Regen zu kommen.«
    » Wenn , dann schneit es hier oben.«
    Wie immer hat Marc recht. Wenn , dann schneit es, und es sieht inzwischen ganz danach aus. Aber Marc will in die Sonne, die noch immer aus einer unsichtbaren Ecke des Himmels auf den Schnee herabsticht und einen Teil des Bergpanoramas scharf vom Schattendunkel trennt, als wäre die Welt aus zwei Hälften.
    Marc biegt nach rechts, hat eine Höhle entdeckt. Unscheinbar öffnet sie sich, aber als sie drinnen stehen, sind sie umgeben von einer erstarrten Flut aus leuchtendem Blau.
    »Wow«, ruft Marc. »So sieht das ganze Eis aus, metertief unter uns. So blau! Wahnsinn!«
    »Aber echt«, sagt Tom.
    Marcs Augen, sieht er, sind hier ebenfalls leuchtend blau, kristallen, als könnte man durch sie hindurchsehen, in ihn hinein, wo es merkwürdig flimmert, dann aber schlagartig dunkel wird. Tom wendet sich ab.
    »Die Gletscherspalten müssen auch so aussehen«, murmelt Marc, als sie wieder im

Weitere Kostenlose Bücher