Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Musette. Verorteten diese in einer neuen musikalischen Sprache, die vom experimentellen Jazz inspiriert sei. Von der improvisierten Musik. Nicht er sprach, sondern es sprach aus ihm. Lutz Wegener fand es aber sehr interessant.
»Ich kann ja mal was auflegen«, schlug Hedda vor.
»Nein!«, sagte Holler zu laut. »Nein«, echote er leiser und zerrte seine Mundwinkel in ein Lächeln, er habe das schon so oft gehört. Er schwitzte. Er fühlte sich wie ein vollgesogener Schwamm, der, sobald er von jemandem angetippt wurde mit einem Wort, einer Frage, überlief. Er hätte gern das Thema gewechselt, aber es fiel ihm nichts ein, denn sein Kopf war ganz weit und leer wie diese Wohnung, nur war keine Kunst darin. Lutz Wegener dachte auch gar nicht daran, das Thema zu wechseln, denn Musik im Allgemeinen war ein dankbares Gesprächsthema. Er redete jetzt viel, Namen und Daten und Epochen,während Hedda sich etwas entspannte. Holler schenkte Wein nach, trank mit großen Schlucken, nickte, ohne zu verstehen, hörte nur den Klang der Wörter, nicht aber deren Inhalt, bis Wegener ohne ersichtlichen Grund verstummte. Eine kurze Pause entstand, in der Holler sich hätte entschuldigen können, er müsse ein weiteres Mal auf die Toilette, um dann endlich den Brief zu nehmen und zu verschwinden, aber er staunte so sehr über die plötzliche Stille, dass er wieder zu langsam war und Hedda ihm zuvorkam. Sie murmelte etwas von Abendessen, sagte dann laut mehrmals das Wort Pasta (Hedda hätte niemals Nudeln oder Spaghetti gesagt, sondern immer »Pasta«, »Pasta con« etc.) und lief hinaus.
Holler saß lächelnd neben seinem Nachfolger. Die Anspannung wie ein Lineal im hochaufrechten Rücken und eingezwängt in die Schraubzwinge dieses Gesprächs, achtete er auf jedes einzelne der Küchengeräusche, denn erst wenn es still wird, dachte er, ist es gefährlich, solange sie kocht, ist sie beschäftigt, sagte er sich immer wieder, während Lutz Wegener an der Zwinge drehte und redete, über die Mehrfachakkorde im Bebop, über die aktuelle Berliner Jazzszene, die aber wirklich zu den besten gehöre, weltweit, könne man fast sagen, oder? Wie er persönlich das sehe, er , der Experte? Aber Holler hatte grundsätzlich dieselbe Meinung wie sein Nachfolger, nickte und sagte, dass er das wirklich genauso sah. Wegener lockerte die Gesprächszange. Schweigen breitete sich ungehindert aus, was Holler ganz gut hätte ertragen können, Lutz Wegener, der kurzzeitig beleidigt wirkte, aber nicht. Stumm nahm er die Brille ab, wodurch er sein leicht fischiges Aussehen verlor, putzte scheinbar gedankenlos die Gläser. Man könne fast meinen, sagte er seufzend, dass der Frühling bald käme, obwohl es wieder so kaltgeworden sei. Und doch habe man den Eindruck, dass schon etwas in der Luft liege. Er winkte ein wenig mit der Hand auf der Höhe seines Ohres.
Holler schwieg.
Wegener räusperte sich, indem er eine locker zur Faust geformte Hand vor den Mund hielt. Ob Holler denn bald einmal in Berlin spiele, fragte er blinzelnd.
Er habe heute Nachmittag gespielt, antwortete Holler.
Wegener staunte.
»Schumann.«
»Ich meinte«, sagte Wegener, »ob Sie demnächst ein Konzert geben.«
»Ach so«, sagte Holler, »Italien«, fuhr er fort und drehte sich eine Zigarette und zündete sie an, obwohl er sich denken konnte, dass es Hedda nicht gutheißen würde: ein Nichtraucherhaushalt endlich, und er hatte nichts anderes zu tun, als ihr postwendend die schöne frische Leere vollzuqualmen.
»Italien?«, sagte Wegener. Tom verstand nicht, neigte fragend den Kopf.
»Sie sagten Italien?«
»Wir spielen in Italien, ja«, sagte er und sah sich nach einem Aschenbecher um, entschied sich für die Blumenvase. Lutz Wegener aber konnte es fast nicht glauben: Italien!, zufällig hatte er nämlich seine Dissertation in Literaturwissenschaft über einen italienischen Dichter mit einem Raubtiernamen verfasst, den mit Hölderlin zu vergleichen er sich zur Aufgabe gemacht hatte, und war bei dieser Gelegenheit in ganz Italien herumgekommen. Bologna, Rom, sogar Sizilien.
»Sogar Sizilien«, murmelte Holler.
»Ja, Sizilien ist herrlich!«
»Bestimmt«, sagte Holler und beendete somit auch das Italienthema. Er war kein dankbarer Gesprächspartner, zugegeben. Hatte er aber auch nie behauptet.
Er wippte mit den Knien, lauschte auf die Küchengeräusche, hohes Klappern, tiefes Klappern, immerhin schien sie beschäftigt, aber er konnte nicht verstehen, dass es so lange dauerte, ein
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