Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Höhe haltend, nach einem Korkenzieher. Holler zeichnete mit der Spitze seines Schuhs eine liegende Acht, bis Wegener,der im Begriff war, in einer geschmeidigen Bewegung den Korken aus der Flasche zu ziehen, auf ihn aufmerksam wurde. Höflich wandte er sich an ihn. Die Höflichkeit schien sich von Wegener abzuspalten und ein Eigenleben zu beginnen. Ob er denn ein Glas mittrinke, wurde von ihm höflich gefragt. Und Holler sah, wie die im Türrahmen stehende Hedda den Mund öffnete, ihn dann zu schließen vergaß, wodurch sie fast etwas dumm aussah, fischartig, so dass sie noch besser zu Wegener passte, dachte Holler. Es vergingen einige Sekunden, aber sie gingen auf der Stelle, sammelten sich auf einem Punkt, und er dachte, dass er etwas sagen müsse, schnell, bevor Hedda es tun konnte, und er sagte: »Ja, gern!«, und vermied den tief in seine Wange stechenden Blick der Gastgeberin. Er entfernte ein Haar von seinem Hemdsärmel.
Im Wohnzimmer, in das sie schweigend hinübergetrottet waren – es war ein weißer, fast quadratischer Raum mit Kappendecke und drei Pfeilern in der Mitte, Bauplane vor der langen Fensterfront –, kam man sich merkwürdig eingepackt vor.
»Gemütlich«, sagte Holler. »So ganz ohne Außenwelt!« Lutz Wegener lachte höflich, weil er dies für einen Witz hielt. Hedda sagte pragmatisch, nachdem sie sich geräuspert hatte: »Setzt euch.« Sie setzten sich. Es war ein runder Esstisch, den Holler noch nicht kannte, mit weiß leuchtender Tischdecke, einem Strauß roter Tulpen, und schräg gegenüber lag in einer Ecke eine Sofasitzgruppe mit kleinem Würfel davor, natürlich war Kunst an den Wänden, sonst Leere. Dort hinein machte Wegener Konversation, worin er geübt war.
Er sei ja Musiker, sagte er und lächelte. Wie er darauf komme, fragte Holler. »Hedda«, sagte Wegener mit einem Hüsteln. Holler überlegte. Die Situation kam ihm eigenartig vor. Er meinte,sie schon vorher irgendwo erlebt zu haben, in einem früheren Leben, mit einer früheren Ehefrau und deren neuem Liebhaber, und trotzdem fühlte er sich nicht heimisch darin. Er war in dieser Situation wie in einem Zimmer, in das man sich auf der Suche nach einem ganz anderen Zimmer verlaufen hatte und das einem gleichwohl bekannt vorkam. Er kämpfte gegen einen Lachanfall, trank schnell das Glas aus, um den Lachreiz hinunterzuspülen. Er hörte, wie Lutz Wegener sich räusperte. Er spürte die Blicke, vier Augenblicke, die sich von zwei Seiten auf seine Wangen legten. Man hatte ihn etwas gefragt.
Er hustete. »Hm?«
Wegener schaute zur Tischdecke hinab und wölbte den Mund. »Sie sind also Musiker?«, wiederholte er. Er lächelte gespannt.
»Ich? Nein, nein«, sagte Holler, und er schüttelte den Kopf. Hedda lächelte. Ihr Lächeln glitt von Thomas entschuldigend zu Wegener hinüber. »Thomas!«, sagte sie. Das Wort hallte im Raum. Die akustischen Verhältnisse waren so aufgrund der Leere, dass jedes Geräusch ein wenig nachhallte, und auch in seinem Kopf, der ebenfalls leer war, hallte dieser Tonfall, den er gut kannte, ein wenig nach. Er musste etwas sagen, also sagte er: »Ich spiele ein bisschen Klavier. Für Geld.«
»Wenn Sie es so formulieren möchten«, sagte Wegener lachend, und Hedda sagte fast gleichzeitig, Thomas habe im vorigen Jahr zum vierten Mal den German Jazz Award bekommen! Sie sprach von ihm wie von einem Kind, und es fehlte nur, fürchtete er, dass sie eine Platte von ihm auflegte.
»Ach«, sagte Wegener. »Herzlichen Glückwunsch!« Was er denn für eine Musik mache? In einer einzigen Bewegung schlug Wegener ein Bein über und führte gleichzeitig seinen gestrecktenZeigefinger an die Wange, so als könne er in dieser Stellung besser hören.
»Ach, nichts Besonderes«, sagte Holler. »Wir finden heraus, was den Leuten gefällt, und dann spielen wir es.« Er schenkte sich Wein nach, trank ihn in einem Zug aus. Das leere Glas stellte er auf die weiße Tischdecke. Es war eines der sogenannten »Familiengläser«, von denen er leider mehrere zerbrochen hatte. Die drei Familiengläser standen im Halbrund auf der Tischdecke. Zwei funkelten rot und voll, eines war leer. Er wusste, dass er weiterreden musste, um nicht aufzufallen, also redete er. Sie machten Musik im Zwischenbereich von Weltmusik und Jazz, erklärte er, wie er es unzählige Male erklärt hatte, und vielleicht stimmte es sogar. Sie arbeiteten für jedes Album mit Einflüssen verschiedener traditioneller Stile, Tango, italienische Canzone, Balkanmusik,
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