Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Loftwohnungen und Kinder haben mussten, aber es ging ihn nichts an. Er würde komplett aus Heddas Leben verschwinden wie ein Sack alter Kleider, den man endlich zum Roten Kreuz gibt.
Hedda, offensichtlich verwirrt aufgrund der Unordnung, hielt, nachdem sie schon bei der Treppe angelangt war, auf der zweiten Stufe inne, streckte einen Zeigefinger auf Stirnhöhe fühlerartig in die Luft, murmelte »die Post« und kehrte um. Ihre beiden Begleiter verharrten an der Kante des ersten Tritts . Hedda öffnete den Briefkasten. Wegener schielte zu Holler. Holler schielte zum Briefkasten. Mit großen Flügelschlägen flattertedie Post Hedda entgegen. Zeitungen, Werbung, Umschläge aller Art. Aber kein Sparkassenkuvert schien darunter zu sein. Es musste, dachte Holler erleichtert, während er Hedda auf der Treppe dicht folgte, keuchend schon im ersten Stock, zwischen die Prospekte in die Zeitungen gerutscht sein.
Im dritten Stock öffnete Hedda mit einem langen Schlüssel eine hohe Eisentür zu einer geräumigen Diele, die im weichen Dämmer indirekter Wandbeleuchtung lag, belebt von den Schatten einiger weniger Einrichtungsgegenstände. An den Wänden nichts und etwas Kunst. Die Wohnung, wie Holler sofort feststellte, war überschrieben mit »Freiheit«, Untertitel: »Ich liebe es, allein zu wohnen«, und er gönnte ihr auch dies. Er wollte nur den Brief und dann abhauen und wollte ja gar nichts verunreinigen mit seiner Anwesenheit hier.
Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie sie den Poststapel auf die dreibeinige Mahagoni-Kommode legte, die sich in dieser weißen Leere wirklich viel besser machte als bei ihm.
»Schön hast du es hier!«, lobte er, was er sich hätte sparen können, wusste er doch, dass sie nicht allzu viel hielt von seinem Geschmack.
Hedda, demonstrativ noch immer im Mantel, sie dachte ja gar nicht daran, ihn abzulegen, überging seine Feststellung, indem sie die Arme vor der Brust faltete und sich in einem Ton, der genau auf ein vertrautes, nicht aber zu vertrautes Arbeitsverhältnis gestimmt war, an ihren neuen Kollegen wandte, er könne ja schon vorgehen, sie komme gleich. Mit dem Kopf wies sie flurabwärts ins Innere der Wohnung, und Holler dachte: Also kennt er sich aus. Aber Hedda, als hätte sie seine Gedanken hören können, sagte, es sei die Tür dort am Ende des Flurs, stets geradeaus, große Flügeltür. Und auch Wegener tat, als wäreer nie hier gewesen, indem er rechts der Flügeltür stehen blieb, ein Kunstwerk betrachtete, sogar die Brille abnahm und von nahem sehr lange darüberschaute, dann sagte: »ach, ein früher Surberg« oder »ach, ein früher Lurberg«, was Holler nicht richtig, Hedda aber offenbar sehr genau verstand, da sie sofort ihren Oberkörper um einige Zentimeter verlängerte, entweder vor Stolz über das Bild oder aus Freude darüber, dass Wegener im Gegensatz zu ihrem Exmann schon etwas mehr zu ihrer Wohnung zu sagen hatte als: »Schön hast du es hier.«
Jetzt tönte ein metallisches Quietschen, ein gespenstisches Geräusch zwischen Schreien und dem Lärm eines bremsenden Zuges. Ein heller Strich zischte aus einem der geöffneten Zimmer in den Flur: Es war Callas, die Katze, die er vollkommen vergessen hatte. Mit aufgestelltem, gesträubtem Schwanz blieb sie sitzen, fixierte aber nicht Wegener, der im Begriff war, die Flügeltür zum Wohnzimmer zu öffnen, sondern ihn. Sie hatte ihn nie leiden können, und obwohl er immerhin fast zwei Jahre mit ihr zusammengelebt hatte, war sie stets Heddas Katze, mein Kätzlein , geblieben (außer bei so unerfreulichen Angelegenheiten wie Tierarztbesuchen, Urlaubsplanung etc., wo es regelmäßig geheißen hatte unsere Katze, die sie einst angeschleppt hatte, ohne ihn zu fragen, an einem Punkt ihrer Beziehungsgeschichte, da er ohnehin wegen nichts mehr gefragt wurde). Nun saß sie in diesem weitläufigen Flur, weiß und bauschig, und starrte ihn mit tränenden Augen an wie ein großes Unglück.
Wie recht sie hat, dachte er. »Na du?«, sagte er, und um die Tierinhaberin nicht noch mehr zu verärgern, beugte er sich zur Katze hinab, wofür er, etwas wacklig, sogar in die Hocke ging, lockte mit den Fingern und spitzte die Lippen, um einige Geräusche zu machen, die die Katze dazu veranlassten, ihren Kopfeine Sekunde lang schief zu halten, bevor sie schreiend in die Richtung davonsprang, aus der sie gekommen war.
Hedda aber lehnte schmallippig im Türrahmen und winkte ihn mit einer knappen Kopfbewegung in die Küche. Es war dies eine
Weitere Kostenlose Bücher