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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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nichts anderes gewesen war als das notdürftige Stopfen des defekten Gewebes, bevor er es vor einigen Monaten ganz aufgegeben hatte.
    Er spielte mit samtenem Anschlag, aber das Lied sagte ihm nichts mehr. Auch das Italien-Programm, das sie am Abend vor nahezu ausverkauftem Haus spielen würden, »Wohlfühlmusik mit einem Schuss Melancholie« (so hatte es eine ostdeutsche Provinzzeitung formuliert), sagte ihm nichts, war abgeschmackte Empfindungsstrategie, so dachte er, mit todsicheren Dur-Moll-Verbindungen für ein zumeist akademisches Publikum, Architektenjazz in die Ohren italophiler Gymnasiallehrer und Tango tanzender Artdirektorinnen. Aber es kam an, erstaunlicherweise sogar bei der Kritik, wodurch sie inzwischen mit vier Jazz-Awards in Folge, zwei Weltmusikpreisen und nicht unbeträchtlichen Verkaufszahlen gesegnet waren. Trotzdem saß Tom Holleran manchen Vormittagen mit übergeschlagenem Bein und in die Handfläche gestütztem Kinn auf der Bettkante und wünschte die Zeit der schlecht bezahlten Autohausauftritte zurück, die Fahrten im Leihwagen mit viel Alkohol und harmlosen Drogen, diese Randexistenz in geflickten Anzügen, da Kommerzrealität und musikalischer Anspruch noch in zwei getrennte Welten differenziert waren, erstens die Welt der Erscheinung, Autohausauftritte, Jubiläen von Einkaufspassagen, von Krankenkassen, und zweitens das geheimnisvolle Eigentliche, die bedeutende, die eigentliche Musik, die Kunst (was immer das gewesen sein sollte), bevor diese beiden getrennten Universen in eine einzige undefinierbare Zwischenwelt zusammengefallen waren.
    Auf der Bühne schlurften einige Tontechniker gelangweilt hin und her und steckten ohne erkennbares System Kabel ineinander und wieder auseinander. »There is a problem with the connection«, wurde gesagt, was immer das heißen sollte, und Holler fühlte sich sofort zu Hause. Er drückte seine Zigarette in den Aschenbecher, beobachtete seine auf der Bühne herumgehenden, Kabel hinter sich herziehenden Kollegen, und weil es nicht helfen würde, wenn er auch noch ziellos über die Bühne gehen würde und Kabel hinter sich herzöge, drehte er sich eine neue Zigarette, zündete sie an und sah den Rauchschlieren zu, wie sie im staubigen Scheinwerferlicht aufgingen.
    Um die Zeit totzuschlagen (eine Redewendung, die er mochte, behauptete sie doch euphemistisch eine Überlegenheit des Menschen über die Zeit, indem man sie sich als einen Schwarm winziger Sekunden und Minuten mit Beinchen, eventuell Flügeln, vergegenwärtigte, die man mit Hilfe einer großen Fliegenklatsche erschlug, die Stunden dagegen als dicke, etwasplumpe, durch einen Hieb der bloßen Hand zu erledigende Käfer), um diesen Zeitschwarm totzukriegen, begann er, weil er die Musik für das beste Zeitvernichtungsmittel hielt, auf dem Flügel zu improvisieren, ein Gebilde aus komplizierten Upper Structures zu errichten, ein Gebäude aus übereinandergeschichteten Akkorden, Licks, Changes, technischen Fingerfertigkeiten, von Harmonielehrekenntnissen, virtuos, aber bedeutungslos, wie er es sich angewöhnt hatte. Und immer wieder, indem er spielte und die Zeit vernichtete, wunderte er sich über seine plötzliche gute Laune, fragte sich, worauf sie zurückzuführen sei, die beinahe festliche Illumination seiner Seeleräume. Wer hatte den Lichtschalter betätigt, fragte er sich, am Flügel sitzend, war dies Betty oder die chemische Zusammensetzung in seinen Zellen gewesen, war dies die Liebe, große Lichtanzünderin, oder die zufällig ausgewogene Mischung des Chemiecocktails im Wunderlaboratorium, in den Schaltstellen der Glücks- und Unglücksmaschinerie des menschlichen Gehirns?
    Und wie immer, wenn er an Betty dachte, die Fackelträgerin, mit einem hellen Feuerzeugschein hoch über dem Kopf, war längst der zweite Gedanke, der aus dem ersten hervorging, welcher wiederum ohne jenen gar nicht möglich war, so wie die Lichtquelle nicht ohne das Licht zu denken ist oder der Ton ohne den Schall oder oder, auch schon da.

RUMFAHREN
    Marc war im September zurückgekommen. Das blaue Tuch des Himmels hing hoch über der Stadt, und die Sonne brannte ihr weißes Loch hinein. Vom Flughafen Tegel aus hatten sie nur bisin den Wedding fahren wollen und kamen aber ans Meer. Zufällig. Weil Marc nicht nach Hause wollte, weil er noch ein bisschen rumfahren wollte, wie er sagte, bitte, falls Tom Zeit habe, und der hatte Zeit (Zeit war etwas, das damals bei ihm in beinah unbegrenzten Mengen vorkam, wie das Wasser aus

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