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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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Frage!«
    »Es ist eine Affäre, weiter nichts.«
    Tom wollte das Thema abschließen, aber aus seinem Bauch bis in den Hals hinauf stieg auf einmal das warme Gefühl, über Frau Hermanns sprechen zu müssen. Über ihre grauen Augen beispielsweise, die so unbeteiligt an seinem Gesicht vorbeisehen konnten, durch das blanke Fenster in den Garten hinaus, um dann eine Sekunde später aus irgendeiner Ecke unter den Rosenrabatten eine Dunkelheit hervorzuholen und diese mit einem leisen Seufzen und Vibrieren der Lider ganz flüchtig in seine Richtung zu hauchen. Und wenn sie dann, als hätte sie nichts in ihm angerichtet, Minuten später aufstand und ihn hinausbegleitete wie einen zufällig ins Haus geschneiten Staubsaugervertreter. Mit wem hätte er darüber reden sollen, wenn nicht mit Marc.
    »Sie ist so … geheimnisvoll«, schloss er. »Irgendwie ägyptisch.«
    Die Sonne lag als Halbscheibe auf dem Meeresrand. Ein paar Möwen zogen vor ihr entlang.
    »Es gibt einen einfachen Trick«, sagte Marc nach einigen Minuten der Stille. »Einen Test, um rauszufinden, ob man verliebt ist oder nicht. Und zwar«, sprach Marc, indem er fortfuhr, auf dem Grashalm zu kauen, »man muss sich die Frau auf dem Klo vorstellen, also auf Deutsch gesagt beim Scheißen. Wenn man dann immer noch verliebt ist, dann ist man verliebt, was immer das heißen soll.«
    Tom überlegte, konnte es sich aber eigentlich durchaus nicht vorstellen, was daran lag, wie er dachte und es auch sagte, dass es nicht eigentlich zu ihr passte, und wahrscheinlich ging sie auch nicht auf ein Klo, es gab einfach Menschen, die gingen auf kein Klo.
    »Und was wäre dann Liebe?«, fragte er und beobachtete, wie der Scheitel der Sonne ins Meer gesaugt wurde und nur ein paar rote Schlieren an der Oberfläche zurückließ.
    »Die Klogeschichte, nur musst du dir vorstellen, dass die Frau schon alt ist und immer noch auf dem Klo sitzt«, sagte Marc, »und wenn es dich dann nicht stört, dann ist es Liebe.«
    Später gingen sie am Ufer entlang. Weiß und flirrend kratzten erste Sterne an die blauglühende Kuppel, eine schräge Mondsichel. Tom und Marc waren nahezu allein in der unendlichen und erhabenen Natur. Nur in der Ferne warf ein Mann einen Stock für einen Hund, der bellend in die Gischt rannte.
    »Warum wolltest du mir nicht schreiben?«, fragte Tom.
    »Man könnte echt meinen, es wäre für uns so eingerichtet«,murmelte Marc, als hätte er ihn nicht gehört, und sah wieder in die Ferne, dorthin, wo sich Meer und Himmel jeden Abend heimlich trafen.
    »Ja, so ein Zufall aber auch, dass es so schön geworden ist«, sagte Tom.
    »Ja, und jammerschade eigentlich, wenn die Menschen bald abkratzen und es dann keiner mehr sieht.«
    »Ja«, sagte Tom. »Eigentlich echt.«
    »Ich habe seit dem Tod meines Vaters keinen Brief mehr geschrieben«, sagte Marc. Er hob einen Stein auf und schleuderte ihn ins Wasser.
    »Warum nicht?«
    Marc ging weiter und sah dem Stein hinterher, aber auch als er längst versunken war, blieb sein Gesicht zum Meer gewandt, als wolle er mit ihm alles besprechen, aufgrund seiner überwältigenden Lebenserfahrung vielleicht, und Tom hatte Mühe, die Worte aus Rauschen und Wind herauszufangen, damit sie nicht irgendwo über dem Wasser abstürzten.
    Nach seinem Abitur, sagte Marc, nach dem Wunsiedel-Sommer, dem Bruch mit Tamara und seiner Entscheidung für die Schreinerlehre, für die Wirklichkeit , wie er es nannte, sei er zu einer Europareise aufgebrochen. Zwei Monate lang habe er die Mittelmeerländer abgeklappert, sagte er, mit ein paar Leuten, per InterRail und Autostop. Er sei froh gewesen, aus seinem Elternhaus wegzukommen, denn sie hätten häufig gestritten gegen Ende seiner Schulzeit, vor allem mit seinem Vater, von dem er den Flügel habe und der ihm das Klavierspiel beigebracht habe, als er mit der Nase kaum über die Tasten reichte, habe er fast täglich Auseinandersetzungen gehabt.
    »Die Schreinerlehre hat ihm nicht gepasst. Seiner Meinungnach sollte ich Musiker werden, was er nicht hatte werden können. Er hat damals nicht studieren können, er musste eine Lehre machen, weil seine Eltern kein Geld hatten. Er hat dann später noch Abi nachgemacht und schließlich doch studiert, Jura. Er ist Staatsanwalt geworden, aber er wollte eigentlich immer nur Klavier spielen.«
    »Und dann solltest wenigstens du Klavier spielen.«
    Marc blieb stehen, hob ein Stück Treibholz auf und warf es gegen den Wind, obwohl kein Hund in der Nähe war, der es hätte

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