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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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diente. Sie könnten jetzt zu ihr hinein, sagte sie und stand auf, ging ihnen voran, abermals denkend, wie sehr sich die Menschen glichen am Ende und am Anfang: Ein rot geschrienes Neugeborenes ähnelte dem andern, und im Tod schrumpften die über eine Lebensdauer ausgebildeten individuellen Eigenschaften wieder auf das Wesentliche, das Relief des ausgestreckten Körpers unter dem weißen Laken zusammen. Und auch im Schmerz glichen sie sich. Während sie im Vorzimmer gefasst, um Haltung bemüht waren, erfolgte beim Anblick des Sterbenden,da das nicht Vorstellbare sichtbar wurde, regelmäßig der Zusammenbruch. Der Bruder hielt die Schwester. Ihr Oberkörper knickte ein, bebte unter der Wucht der Tränen, die sich nun Bahn brachen. Der Vater senkte den Kopf und presste seine Faust gegen die Augen, als wollte er sie in den Schädel hineindrücken, bevor er die Hand öffnete, um sie in eckigen Bewegungen durch die Luft zu führen, über dem Kopf seiner nichts ahnenden Frau.
    Dass er sie ruhig anfassen könne, flüsterte Betty. Aber er schien die Fühllosigkeit dieser Haut zu fürchten. Mit den Blicken suchte er eine geeignete Stelle, berührte dann zuerst die schmale, von der weißen Klinikwäsche bedeckte Schulter, tastete sich dann langsam vor, ließ die kräftigen Finger unbeholfen von ihrem Hals zum Gesicht, zu ihrer Wange gleiten, und Betty überlegte, wann er sie wohl das letzte Mal gestreichelt hatte. Der Kopf vibrierte leise auf dem Kissen, es sah aus, als nicke sie, genieße sie die vielleicht ungewohnte Berührung, aber niemand konnte wissen, was in diesem scheinbar unversehrten Kopf vorging, darin zu Ende ging.
    Die Tochter weinte lautlos jetzt und hielt die Hand der Mutter, behutsam, als wolle sie ihr nicht weh tun. Der Bruder hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Oberkörper war noch jungenhaft, aber die Haltung wollte schon männlich sein. Er starrte schräg über das Bett hinweg an die gegenüberliegende Fensterfront, wo eine der Schwestern im Begriff war, den stockenden Lamellenvorhang zu richten, weshalb plötzlich ein Strahl ganz gewöhnlichen Sonnenlichts hereinfiel, der auf den PVC-Fliesen zerging, und der junge Mann, wie geblendet, die Augen abwandte, bis die Krankenschwester auf den Zehenspitzen ruckelnd, den Vorhang wieder geschlossen hatte.
    Das Schlimmste aber hätten sie, die Angehörigen zu tragen, sagte nun Betty, wie es ihre Aufgabe war. Die Patientin selbst, sagte sie, spüre ja nichts, habe keinerlei Schmerzen, kein Leiden, bekäme nichts mit. Wie Trockenblumen stellte sie ihre erprobten haltbaren Worte in den Raum. Und wenn sie weitere Fragen hätten, jederzeit, sagte sie, wie sie es immer sagte, Anrufe natürlich auch nachts. Die Tochter schniefte, ein glänzendes Rinnsal Rotz lief ihr am Kinn hinab, daran hatte sich eine Haarsträhne festgeklebt. Wer dachte an Taschentücher an einem Morgen wie diesem? Betty gab eine Packung aus und ließ sie allein.
    Auf ihrem Drehstuhl sitzend, beobachtete sie ihr Mobiltelefon. Seit Tagen war es nicht aktiviert worden und redete dennoch ununterbrochen. Sie nahm es in die Hand, ließ es zwischen Daumen und Mittelfinger um die eigene Achse kreisen. Dann gab sie nach, schaltete es ein und wartete mit geschlossenen Augen, bis der Signalton einen weiteren Anruf in Abwesenheit verkündete, Rufnummer unterdrückt, am Vorabend um 21.14 Uhr. Vermutlich war Tom inzwischen in Italien angekommen. Wenige Tage nur noch bis Neapel. Er tastete sich nach Süden hinab am Rande des Meeres. Er konnte sie nicht verfehlen, durfte es nicht. Auch wenn sein Kommen die in der Tiefe ihrer Erinnerung ruhenden Bilder an die Oberfläche wirbelte.
    Altdorf in Oberfranken. Der winzige Friedhof, immer wieder, in idyllischer Hanglage, grüne Wiesen, die sich an Bergen bis zum Horizont hinaufstapelten. Davor gelber Raps. Einige wenige Schäfchenwölkchen, die über das tiefe Blau des Himmels zogen. Marcs frisches Grab, ein Blumenhügel in allen Farben, passend zum Mai.
    Tom hatte sie zum Zug gefahren, stumm. Das Auto hatte seitSilvaplana dringend in die Werkstatt gemusst, es röhrte und heulte, als wollte es ihr Schweigen übertönen. Vor dem Bahnhof hielt er an. Ob er sie auf den Bahnsteig …? Seine letzten Worte für sie. Sie aber schüttelte den Kopf, indem sie auf die Hand hinab sah, die auf seinem Oberschenkel lag, kräftig und die Finger gespreizt. Innerlich nahm sie sie und legte sie an ihre Wange, neigte den Kopf ihr entgegen. Äußerlich stieg sie aus, lief um den

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