Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Nadelstiche, Gischt wirbelte auf wie weißer Funkenregen, als Marc mit den Händen auf die Wasseroberfläche klatschte und eine Woge gegen seinen Freund schob, und der zurück, bis sie sich, da sie ohnehin bereits bis zur Hüfte im Wasser standen, ganz hineinwarfen mit einem lauten Jauchzen und hinausschwammen. Immer dem Licht nach.
Sie schwammen. Er sah Marcs Kopf neben sich. Die Tropfen, die brachen und an seiner Wange hinabrannen. Sie schwammenstumm, umgeben nur von den Geräuschen des Meeres, dem Klatschen ihrer eigenen Bewegungen und dünnem Möwengeschrei.
Tom aber fiel zurück, seine Arme wurden schwer, und die Kleidung schien ihn hinunterzuziehen. Marcs Kopf war ein schwarzer Umriss im Gegenlicht, ein Kopf ohne Körper. Das Licht schloss ihn ein, trug ihn immer weiter dem Horizont zu. Umkehren, dachte Tom, bitte kehr um, Idiot, und seine Arme wurden steif vor Schmerz, das Keuchen schabte in seiner Kehle. Eine Welle hob sich vorn und schlug ihm ins Gesicht, er verschluckte sich, die Augen brannten, und ein Husten schüttelte ihn, ließ die Schwimmbewegungen, die ihm ohnehin immer schwerer fielen, verkümmern. Als er die Augen öffnete und nach Luft schnappte, sah er, dass Marcs Kopf noch kleiner geworden war. Der Meeresspiegel kippte von links nach rechts, hob und senkte sich, und mit ihm Marcs Kopf vor seinen Augen.
Als sie nebeneinander ans Ufer wateten, sahen sie sich nicht an. Tom meinte, von der Hüfte abwärts keinen Körper mehr zu besitzen, auch keine Arme. Rumpf und Kopf schwebten über dem Sand, ließen sich hinabfallen und wunderten sich über die Beine, die doch anwesend waren und sich ausstreckten. Die Hose klebte eng daran, in scharf geschnittenen Falten. Sein Atem ging schnell, aber er gab sich Mühe, in aller Seelenruhe über die Landschaft zu blicken, die scheinbar stieg und sich senkte mit jedem Herzschlag. Die Stille surrte in den Ohren.
»Wir hätten vorher die Klamotten ausziehen sollen«, sagte irgendwann Tom, weil er fror und dachte, dass es an der Zeit sei, etwas zu sagen.
Marc lächelte und kaute an einem Grashalm und hörte nichtauf, in die Ferne hinauszusehen. »Wir haben doch alles dabei«, sagte er.
Nachdem sie sich trockene Marc-Kleider angezogen hatten – die Hosen für Tom viel zu lang, Pullover etwas zu figurbetont, aber chic, sagte Marc –, streckten sie sich auf dem Sand aus. Sonnenwärme glitt herab und legte sich wie ein warmer Waschlappen auf ihre Gesichter. Als Tom aufwachte, sah er Marcs geraden Rücken vor dem Himmel. Sein Gesicht zeigte in Richtung Meer, das inzwischen die Farbe geändert hatte und metallen spiegelte. Zwei Menschen, ein Paar, gingen in der Ferne, Arm in Arm.
Als hätte Marc gehört, dass er die Augen geöffnet hatte, sagte er, ohne ihn anzusehen: »Man könnte immer so sitzen. Ich könnte alt werden und hier sitzen und aufs Meer hinausschauen dabei. Es ist, als ob alles aufhört. Alles hört plötzlich auf, wenn man am Meer ist. Ich glaube, es würde keine Verbrechen geben, wenn die Leute immer am Meer säßen.«
»Wie auch?«, sagte Tom und setzte sich auf, mit der Hand seine Augen abschirmend.
»Wie sollen wir leben?«, sagte Marc. »Am Meer sitzen!«, antwortete er sich selbst und lächelte.
Die Sonne stand jetzt groß und rund am Himmel und vertropfte rote Malkastenfarbe ins Wasser, die sich entlang der Horizontlinie ausbreitete. Es war Abend geworden. Marc grub aus seinem Rucksack eine Flasche Mescal, die er Tom auf die Beine legte. »Hab ich dir mitgebracht«, sagte er und verteilte Jacken und zwei belegte Brötchen aus dem Flugzeug.
»Und? Was macht Breitenbach?«, fragte er kauend.
»Der Hase spielt jetzt Chopin«, sagte Tom.
Sie lachten beide.
»Und die gute alte Hermanns?« Marc nahm einen Schluck Mescal und blickte aufs Meer. Tom hatte zwei Zigaretten gedreht und hustete. Seine Wangen glühten. Er suchte in seinen Taschen nach Feuer, fand aber keines, da es Marcs Jacke war, die er trug, wie ihm einfiel. Ein helles Zucken flammte in seinen Pupillen, als sein Freund ihm Feuer gab und nicht nur mit dem Streichholz, sondern auch mit dem Blick in sein Gesicht hineinleuchtete.
»Nichts«, sagte Tom und wandte seinen Kopf. »Gut, sie macht es gut«, fügte er hinzu.
»Aha«, sagte Marc und lächelte aufs Meer hinaus. »Und du?«
»Was und ich?«
Marc sah ihn jetzt lange an.
»Du bist ja verliebt«, sagte er dann, stach seinen Ellbogen in Toms Seite.
»Ach Quatsch, verliebt. Was heißt außerdem verliebt.«
»Gute
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