Die Orestie
Totenfeier und den Grabesgruß! –
Zu den Göttern laßt uns rufen, den Allwissenden,
In welchen Kreiselstürmen gleich den Schiffern wir
Verirrt sind. Dennoch, wenn uns Rettung werden soll,
Da wächst von kleinem Samen auch ein großer Stamm! –
Sie steigt die Stufen zum Grab hinab.
Und da, die Tritte, sieh, ein zweites Zeichen ist's
Von gleichen Füßen, ähnlich ganz den meinigen;
Ja, sieh, von zween eingezeichnet ist die Spur,
Hier von ihm selber, da von dem, der mit ihm kam;
Der Sohlen Abdruck und der Fersen, meß ich sie,
Zusammentreffen sie genau mit meinem Fuß! –
Angst übermannt mich; aller Sinn ist mir verrückt!
Orestes tritt ihr entgegen.
ORESTES.
Du bete zu den Göttern enderflehnd Gebet,
Daß auch das andre dir beschieden möge sein!
ELEKTRA.
Was wär's, das jetzt schon mir gewährt der Götter Gunst?
ORESTES.
Dein Auge sieht nun, drum du lange betetest!
ELEKTRA.
Und wen der Menschen weißt du, daß ich gerufen hab?
ORESTES.
Ich weiß, Orestes hast du oft und heiß ersehnt!
ELEKTRA.
Und wo und wie denn wär erfüllt jetzt mein Gebet?
ORESTES.
Ich bin es, such dir keinen, der dir teurer ist!
ELEKTRA.
Du betrügst mich, Fremdling, du umgarnest mich mit List.
ORESTES.
So schling und strick ich selber um mich selbst Betrug!
ELEKTRA.
Und lachen willst du über mich und meinen Gram!
ORESTES.
Auch über mich und meinen Gram, wenn über dich!
ELEKTRA.
Zu dir, Orestes, hätt ich alles dies gesagt?
ORESTES.
Da du mich selbst siehst, jetzt erkennest du mich nicht;
Und da du diese Locke sahst des Trauerhaars,
Die Locke deines Bruders, deinem Haupte gleich,
Und deinen Fuß einfügend maßest meine Spur,
Da flogst du hoch auf, und du meintest mich zu sehn!
Sieh, diese Locke lag an diesem Schnitt des Haars,
Sieh dies Gewand an, deiner eignen Hände Werk,
Des Weberschiffleins Marken hier, der Tiere Bild –
Sei ruhig, gib die Vorsicht nicht der Freude preis;
Uns beiden, weiß ich, sind die Liebsten bitterfeind!
ELEKTRA.
O letzte, liebste Sorge für des Vaters Haus!
Beweinte Sehnsucht nach der Rettung letztem Reis!
Kraft deines Armes nimm zurück dein Vaterhaus!
O süßes Auge! Dein gehört vierfacher Teil
In meinem Herzen; sieh doch, nennen muß ich dich
Nun meinen Vater; meiner Mutter Liebe kommt –
Denn ganz gerecht haß ich sie selbst –, dir kommt sie zu,
Dir auch der Schwester Liebe, der Geopferten;
Und dann mein Bruder bist du, der mich wiederehrt!
Nun möge Kraft mir, möge mir Gerechtigkeit
Beistehn und Zeus zum dritten, der allergrößeste!
ORESTES.
Zeus, Zeus, auf mein Beginnen schaue du herab!
Sieh meines Vaters, sieh des Adlers arm Geschlecht,
Der selbst den Schlingen, dem Umzüngeln unterlag
Der argen Schlange; aber die verwaiste Brut
Quält nüchtrer Hunger; ihnen fehlt es noch an Kraft,
Des Vaters Beute heimzutragen in das Nest;
So tief bekümmert, so verwaiset siehst du uns,
Mich und Elektra, uns Geschwister vaterlos,
In gleicher Flucht verstoßen unsrem Vaterhaus!
Und hast du dann des Vaters Kinder, der dich fromm,
Der dich mit Opfern ehrte, einst hinweggetilgt,
Wer reicht dir dann noch gleicher Hände vollen Dank?
Nicht bleibt dir, wenn das Geschlecht des Adlers du vertilgst,
Zu senden glaubhaft Zeichen an die Sterblichen,
Noch opfert dieser Königsstamm, so ganz verdorrt,
Auf deinem Altar dir am Feststieropfertag!
Sei unser Hort! Vom Boden richt ein hoch Geschlecht
Empor, das jetzt gar tief dahingesunken scheint!
CHOR.
O Kinder, o Erretter eurem Vaterherd,
Seid still, daß niemand sonst es, o ihr Lieben, hört
Und vielgeschwätzig alles dies euch nacherzählt
Bei meiner Herrschaft, die ich hier hinsterben noch
In der Flammen pechgetränktem Qualm einst möchte sehn!
ORESTES.
Nicht mich verraten wird der allgewaltge Spruch
Des Loxias, der dieses Wagnis mir gebeut,
Der laut mich aufrief, Qualen, sturmgegeißelte,
In meinem heißdurchglühten Herzen mir verhieß,
Wenn ich meines Vaters Mörder nicht verfolgete,
Zur Rache sie zu morden mit demselben Mord;
Zerstört von seinen Strafen, nicht an Hab und Gut,
Nein, an der lieben Seele, sprach er, würd ich dann
Drum leiden vieles, unerträglich bittres Leid;
Denn als der Hassenden Sühne hat er allem Volk
Mißwachs verheißen, schwere Krankheit aber mir,
Aussatz, der tief ins Fleisch sich frißt mit grimmem Zahn,
Der mir hinwegnagt meiner Sehnen alte Kraft,
Mit greisem Haare meiner Locken Schmuck vertauscht!
Und andre Qualen nannte
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