Die Orks 01 - Die Rückkehr der Orks
geherrscht, hatten Händler ihre Waren feilgeboten und waren Gelehrte in weiten Roben durch die Säulenhallen flaniert, um über das Wesen des Kosmos zu rätseln. Stimmengewirr und Gelächter waren aus den Gassen gedrungen, plätschernde Brunnen hatten frisches Wasser gespendet, das in der Sonne glitzerte.
Nichts war davon geblieben.
Die Straßen der Stadt waren verwaist, nicht einmal Tiere schienen sich hierher zu verirren. Die Brunnen waren versiegt, und die hohen Fenster der Häuser wirkten wie die leeren Augenhöhlen riesiger Totenschädel; Rammar schauderte, als ihm der Gedanke kam, dass jemand – oder etwas – dort in der Dunkelheit lauern könnte und sie vielleicht beobachtete.
Das Torhaus hatten sie hinter sich gelassen und strebten der Königszitadelle entgegen. Sie bildete das Zentrum der Anlage; von ihr aus verliefen die Straßen sternförmig nach allen Seiten, hin zu den Türmen, die die Stadtmauer in regelmäßigen Abständen durchbrachen. Die ausgeprägte geometrische Ordnung, die selbst unter all den wuchernden Schlingpflanzen noch zu erkennen war, war typisch für die Bauweise der Elfen – und Rammar und Balbok war sie geradezu verhasst, denn Orks ist das elfische Streben nach Ordnung zutiefst zuwider. Es steigerte noch das Unbehagen, das die beiden Brüder ohnehin verspürten, seit sie die Verborgene Stadt betreten hatten.
Ein seltsamer Geruch lag in der Luft, der von Tod und Untergang kündete, und am liebsten hätte Rammar die Flucht ergriffen. Nur zwei Dinge hielten ihn davon ab: Zum einen wollte er sich vor dem Menschen und der Elfin keine Blöße geben, zum anderen war da die Aussicht auf den Schatz, der sich hier angeblich irgendwo befinden sollte.
Die Waffen halb erhoben – Balbok, der seine Axt kaputtgeschlagen hatte, hatte sich Corwyns Pfeile und Bogen geborgt –, schlich die kleine Gruppe vorbei an den geschwärzten Fassaden verlassener Bauten, und es bereitete Rammar ein wenig Genugtuung, dass sich auch der Kopfgeldjäger offensichtlich nicht sehr wohl fühlte. Sein Schwert in der Hand, sandte Corwyn nervöse Blicke nach allen Seiten, jederzeit damit rechnend, angegriffen zu werden.
Die Bedrohung, die in der Luft lag, war beinahe körperlich zu spüren – nur Alannah schien nichts davon zu merken.
Staunend schaute sich die Elfin um, und sie entdeckte immer wieder Dinge, die sie aus der Überlieferung Farawyns kannte: hier einen Brunnen, dort ein Tor oder eine Statue, von der allerdings kaum noch etwas zu erkennen war, da dicke Moosflechten sie bedeckten. Für die abtrünnige Priesterin wurde im Nachhinein all das bestätigt, woran sie zuletzt gezweifelt hatte, und die dreihundert Jahre, die sie im Tempel von Shakara zugebracht hatte, bekamen dadurch einen Sinn.
Sie erreichten die Zitadelle, die die Form eines großen Oktogons aufwies, mit einem zinnenbewehrten Turm an jeder der acht Ecken. In der Mitte wölbte sich eine große steinerne Kuppel, von acht weiteren schlanken Türmen umgeben, die sie wie eine gigantische Krone aussehen ließen. Das Tor der Zitadelle stand weit offen und starrte den Besuchern erwartungsvoll entgegen. Jenseits davon herrschte tiefe, unheilvolle Dunkelheit.
»Ist das nicht großartig?«, fragte Alannah zum ungezählten Mal. »Alles ist genau so, wie es in Farawyns Büchern beschrieben steht!«
»Korr, wirklich großartig«, murmelte Rammar säuerlich. »Ich frage mich, was in der Dunkelheit dort lauern mag. Die ganze Stadt stinkt nach Tod und Verwesung.«
»Ich dachte, Orks mögen den Geruch von Tod und Verwesung«, stichelte Corwyn gehässig.
»Schon«, räumte Rammar ein, »solange es nicht mein Tod und meine Verwesung ist!«
»Wirklich, es ist großartig!«, gab sich Alannah selbst die Antwort auf ihre Frage, die Einwürfe ihrer Begleiter überhörend. »Von dieser Zitadelle aus wurde in alter Zeit nicht nur die Stadt Tirgas Lan, sondern das gesamte Elfenreich regiert, von weisen und gütigen Herrschern, die die Elfenkrone auf ihren ehrwürdigen Häuptern trugen.«
»War diese Krone aus Gold?«, fragte Balbok, sofort neugierig.
»Allerdings«, bestätigte Alannah, »und dazu noch mit den wertvollsten Edelsteinen des Reiches verziert. Warum interessiert dich das?«
»Na ja, weil das Ding vielleicht noch da ist«, sagte der Ork schulterzuckend, »und weil die Krone vielleicht zu dem Schatz gehört, dessentwegen wir hier sind. Richtig?«
Alannah gab ihm keine Antwort – sie war so fasziniert von diesem Ort mit seiner glorreichen
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