Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Dogmatik noch eine hochpolitische Sache; die konfessionellen Fronten im Dreißigjährigen Krieg beweisen es. Danach aber ließ sich mit dem christlichen Bekenntnis immer weniger Staat machen. Wehte der Wind der Vernunft zu scharf für den Katholizismus?
BRANDMÜLLER: Mit den Aufklärergedanken, die sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bemerkbar machten, ist Rom verhältnismäßig locker umgegangen. Benedikt XIV ., einer von mehreren gelehrten Päpsten, korrespondierte durchaus freundlich mit Aufklärern wie Voltaire. Als politische Größe war das Papsttum da ja schon praktisch inexistent. Der Kirchenstaat spielte im Konzert der Mächte eigentlich keine Rolle.
SPIEGEL: Dann hat Bismarcks scharfer antikatholischer Kurs nach der Verkündung des Unfehlbarkeitsdogmas 1870 für den Vatikan vielleicht sogar noch einen Imagegewinn gebracht?
BRANDMÜLLER: Um das Image mache ich mir keine Sorgen. Nein, es wurden Standpunkte klar. Angefangen hatte der Gegensatz mit der Französischen Revolution, in der die christliche Basis der Gesellschaft aufgekündigt wurde. Staatsgebilde definierten sich als säkulare Rechtsordnungen. Seither befindet sich die Kirche, speziell die katholische, innerhalb der europäischen Gesellschaft in der Verteidigung.
SPIEGEL: Fassen wir zusammen: Aus kleinen Anfängen bis zur beinahe imperialen geistlichen Macht gelangt, hat das Papsttum nach und nach einen Großteil seiner Deutungshoheit wieder eingebüßt. War die Verkündung des Unfehlbarkeitsdogmas ein letzter Versuch, diese Entwicklung aufzuhalten?
BRANDMÜLLER: Keineswegs. Es resümierte die seit langem nicht mehr bestrittene Auffassung, dass der Papst das letzte Wort in Fragen der Lehre hat. Die Kirche ist ja keine demokratische Veranstaltung. Jesus hat nicht gesagt: »Nun kommt mal schön zusammen und diskutiert«, sondern: »Du bist Petrus, auf diesen Fels will ich meine Kirche bauen«, und: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch … Wer euch hört, hört auch mich.«
SPIEGEL: Für das Ziel der christlichen Kircheneinheit, der Ökumene, stellt die Unfehlbarkeit allerdings ein schweres Hindernis dar.
BRANDMÜLLER: Aber natürlich.
SPIEGEL: Warum mag Rom nicht wenigstens den Vorschlag überlegen, dass etwa der Papst als oberster Sprecher der Christenheit fungieren könnte?
BRANDMÜLLER: Nun, wenn Sie sehen, wer da alles vom Papst in Audienz empfangen wird, oder wenn Sie die Trauergäste am Sarg von Johannes Paul II . betrachten, dann stellen Sie fest, dass der Papst dies de facto längst ist. Im Sinne des Evangeliums ist das freilich noch zu wenig. Jesus hat zu Petrus gesagt: »Weide meine Lämmer.« Solche Dinge sind kompromissunfähig. Hier geht es nicht um Interessen, sondern um die Wahrheit.
SPIEGEL: Eminenz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
TEIL II
BISCHOFSAMT UND
KIRCHENHOHEIT
Die Schlüsselgewalt
Anfangs waren die Nachfolger des Petrus einfache Gemeindevorsteher. Doch mit dem Aufstieg des Christentums wuchsen Roms Bischöfe in die Rolle des Oberhirten und nutzten klug ihre wachsende Macht.
Von Mathias Schreiber
Ausgerechnet Simon Petrus, der wankelmütige Fischer aus Galiläa, der seinen Herrn aus Angst vor den Hohepriestern dreimal verleugnet hat, wird im Schatten der Golanhöhen, bei der Stadt Cäsarea Philippi, von ebendiesem Herrn mit den Worten geadelt: »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.« So berichtet der Evangelist Matthäus (16,13 ff.).
Weltberühmte Paradoxie: der Furchtsame als Fels! Weltberühmtes Wortspiel: Das griechische Wort »petra« heißt in der Tat »Fels«, ebenso der aramäische Name »Kefa«, wie Petrus vom Aramäisch sprechenden Jesus gerufen wird.
Der Autor, nicht zu verwechseln mit dem Apostel Matthäus, war ein Judenchrist, der sein Evangelium in Syrien verfasst hat – auf Griechisch, 80 n. Chr. Es ist dieser biblische Text, der am deutlichsten den Apostel Petrus als von Jesus selbst eingesetzten Gründervater der Kirche benennt.
Gewiss räumt die Bibel auch an anderen Stellen Petrus eine besondere Prominenz ein: In einer visionären Szene des Johannesevangeliums fordert der auferstandene Jesus Petrus dreimal auf: »Weide meine Lämmer!« und »Weide meine Schafe!« Doch
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