Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Bischofsamtes betont werden. Dieses Interesse an einer Aufwertung des Papstes nahm noch zu, als infolge der reformatorischen Bewegungen des 16. Jahrhunderts eigene protestantische Konfessionskirchen entstanden, die sich durch eine entschiedene Absage an Rom definierten und im Namen des Priestertums aller Gläubigen das Hierarchieprinzip und Papstamt bekämpften.
Nun war Rom nicht mehr der einzige Zentralort des westlichen Christentums, sondern stand in permanenter Konkurrenz zu Wittenberg und Genf, Zürich und Canterbury. Die katholische Kirche wurde zu einer römisch-katholischen Konfessionskirche neben den Konfessionskirchen der Reformierten, Lutheraner und Anglikaner. In dieser Situation eines christlichen Glaubenspluralismus gewann das Papstamt eine ganz neue religionspolitische Bedeutung: Es wurde zum sichtbaren Alleinstellungsmerkmal der römisch-katholischen Kirche.
Definierten sich die protestantischen Kirchen durch radikale Absage an das Papstamt, so begründete die römisch-katholische Kirche ihre konfessionelle Identität nun zunehmend durch den Papst, von dem man deshalb höher als je zuvor dachte. So nannten protestantische Polemiker die Katholiken gern »Papisten« und umgekehrt katholische Denker die Protestanten »Papstfeinde« und »Antipapisten«, die ein anarchisches Prinzip in die Welt gebracht hätten: die Glaubensfreiheit des Einzelnen statt des Gehorsams gegenüber der päpstlichen Autorität.
Das Ende der alten feudal-ständischen Ordnung, die Entstehung autonomer Nationalstaaten und die Durchsetzung der modernen bürgerlichen Gesellschaft seit 1800 zwangen die römisch-katholische Kirche überall in Europa dazu, ihren Ort in einer von permanentem Meinungskampf geprägten modernen Gesellschaft neu zu definieren. Sie musste auf christentumskritische Ideen der Aufklärung reagieren und auf politisch liberale Forderungen nach starker Bürgerfreiheit und Demokratie.
In den harten ideenpolitischen Kämpfen um die Französische Revolution waren es vor allem brillante konservative Theoretiker und die Meisterdenker der katholischen »Restauration«, die in einer Welt des permanenten Wandels und neuen revolutionären Aufruhrs den Papst als einzig verbliebenen Garanten von Ordnung, Rechtstreue und Sittlichkeit feierten. Joseph Marie de Maistre forderte in einem viel gelesenen Buch »Vom Papste« 1819, gegen den neuen, laizistischen Staat die unbedingte Herrschaft des Papstes in allen Glaubens- und Sittenfragen zu stärken. Sein unfehlbarer Papst soll auch als starke politische Autorität agieren.
Auf allen Seiten wurden die Auseinandersetzungen um das Papstamt im 19. Jahrhundert immer auch als Ordnungsdebatten geführt, als Streit um die tragenden Grundlagen von Recht und öffentlicher Ordnung. Dabei lässt sich in Rom eine faszinierend klare Modernisierungsstrategie beobachten: Man setzte in der neuen, modernen Welt der vielen Freiheiten und damit verbundenen Risiken und Unsicherheiten auf die Formierung einer katholischen Gegenwelt, eines Milieukatholizismus, der in eigenen politischen Parteien, Verbänden und Interessenorganisationen Prinzipien der bürgerlichen Gesellschaft insoweit akzeptiert, als sie dem Interesse »der Kirche« als sittlicher Ordnungsmacht zugutekommen.
Diese ultramontane Selbstmodernisierung des Katholizismus verbindet sich mit der Mobilisierung des »Kirchenvolks« durch große Wallfahrten, dem ideenpolitischen Kampf gegen den Liberalismus und einem bürokratischen Zentralismus, der alle katholischen Nationalkirchen auf den römischen Kurs zwingt. Das führte in den meisten europäischen Katholizismen zu harten Kulturkämpfen zwischen nationalistisch-liberal Gestimmten einerseits und Romtreuen »Ultramontanen« andererseits, hatte aber seit Mitte des Jahrhunderts zunehmend Erfolg: Kurie und Nuntiaturen konnten seit 1850 jene »römische« Ausrichtung durchsetzen, die im neuen Papstkult ihren prägnantesten Ausdruck fand. Fromme Katholiken pilgerten nun nach Rom, um einmal im Leben den Papst zu sehen, und kauften Devotionalien wie Papstbilder und kleine Statuetten, um die Erinnerung an den Außergewöhnlichen zu fixieren.
Schon seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatten konservative Kleriker und einige prominente Laien immer wieder die Einberufung eines Konzils gefordert, bei dem auch die innerkirchlichen Gegensätze zwischen den »liberalen Katholiken« und den »Ultramontanen« befriedet werden sollten. Früh schon klagten katholische Religionsintellektuelle
Weitere Kostenlose Bücher