Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
eine neue Lehre von der Kirche ein, die auch zur Aufwertung des Papstamtes führen sollte. Pius IX ., der immer wieder »modernistische« Irrtümer kritisiert und gegen die moderne Wissenschaft polemisiert hatte, berief das Konzil der Bischöfe schließlich am 29. Juni 1867 ein.
Die große Mehrheit der Bischöfe war theologisch von der päpstlichen Unfehlbarkeit überzeugt: Man wollte einer sündhaften »Welt«, die man in Irrtum, Skepsis, falscher Freiheit, Relativismus und Beliebigkeit verfallen sah, eine starke, wirklich verbindliche und unangreifbare Autorität entgegensetzen. Wie die päpstliche Unfehlbarkeit genau bestimmt werden sollte, war freilich lange unklar und umstritten. Erst die harte Kritik der Minderheit brachte die Vordenker der Mehrheit dazu, ausdrücklich festzuhalten, dass der Papst, wenn er eine Lehre »de fide vel moribus« feierlich »ex cathedra« definiert, »ex sese, non autem ex consensu Ecclesiae«, »aus sich, nicht aber aus dem Konsens der Kirche« spricht.
Damit hatte sich die Wahrheitssprache gegenüber der kirchlichen Tradition signifikant verändert: Galt die Kirche einst als infallibel, weil sie die Wahrheit Gottes, der selbst die Wahrheit ist, verkündet, so wird ihre Unfehlbarkeit nun vom Papst her begründet. Und der Papst ist nicht unfehlbar, weil die Kirche es ist, sondern seine Unfehlbarkeit wird »aus sich«, aus seinem exklusiven Amtscharisma begründet.
Steiler kann man vom Amt des Papstes nicht denken. Es wird hier gleichsam zu einer Gegeninstanz zu allem modernitätsspezifischen Wissen um die Grenzen menschlicher Vernunft. »Irren ist menschlich«, lautet ein höchst humanes Sprichwort, das uns an unsere Endlichkeit und Fehlbarkeit gemahnt. Nur der Papst will in bestimmten Sprechakten irrtumslos denken und reden können. Was einst allein Gott zuerkannt wurde, Unfehlbarkeit, ist in Rom 1870 zum Prädikat eines einzelnen Menschen erklärt worden – von einer Institution, die es immer wieder zur Sünde des »modernen Menschen« erklärt, sich im Streben nach Autonomie an die Stelle Gottes setzen zu wollen. So paradox können moderne Religionsgeschichten sein.
Winzige Weltmacht
Italiens Faschistenführer Benito Mussolini und Papst Pius XI. legten 1929 in den Lateranverträgen das Fundament für den bis heute mit allerlei Kuriositäten ausgestatteten Vatikanstaat.
Von Hans-Ulrich Stoldt
Als der italienische Ministerpräsident Mario Monti im November 2011 die Regierungsgeschäfte übernahm, waren die Erwartungen hoch. Der frühere EU -Kommissar galt als Technokrat, der nüchtern und zielstrebig die Probleme des hochverschuldeten Landes zu bewältigen versprach. Sogleich verordnete Monti seinem Volk ein Sparprogramm. Dann machte er sich auf, eine heilige Kuh zu melken. Die graste gleich nebenan, im Vatikan. Der größte Immobilienbesitzer des Landes zahlt kaum Steuern für seine Liegenschaften – eine gleichsam gottgegebene Selbstverständlichkeit, aber nicht für Zeiten wie diese gemacht.
Ausgerechnet Mitte Februar 2012 verkündete Monti seinen Plan – eine Gemeinheit. Denn genau zur gleichen Zeit feierten Kardinäle und Bischöfe die Geburtsstunde des Vatikanstaats. Am 11. Februar 1929 hatten der Heilige Stuhl und Italien in den sogenannten Lateranverträgen ihr zerrüttetes Verhältnis bereinigt und dabei auch das vorteilhafte Steuerabkommen vereinbart.
Sechs Jahrzehnte kalten Friedens waren damit beendet. 1870 waren Soldaten des italienischen Königs in Rom einmarschiert, hatten es zur Hauptstadt erklärt und sich das einst so mächtige Reich der Päpste einverleibt. Pius IX . zog sich schmollend in seinen Palast zurück, exkommunizierte alle am Deal Beteiligten und erklärte sich zum »Gefangenen im Vatikan«. Seinen selbstgewählten Arrest verließ er nicht mehr, und die Nachfolger taten es ihm gleich.
Das fortan als »Römische Frage« titulierte Zerwürfnis führte zu allerlei Skurrilitäten, denn viele Regierungen respektierten weiterhin die staatliche Souveränität des Heiligen Stuhls. Offizielle Visiten wurden zum Problem, da der Papst es nicht gern sah, von italienischem Gebiet aus besucht zu werden. Gewitzte Regierungschefs ersannen Tricks: Einige erklärten flugs ihre Kutsche zum mobilen Staatsgrund und konnten so korrekt anreisen. Den meisten Italienern lag die »Römische Frage« schwer auf dem Gemüt – war doch der Katholizismus keine feindliche Ideologie, sondern bei vielen Menschen tiefverwurzelter Glaube.
So kam es, dass Faschistenführer
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