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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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weißgoldenem Haar verdeckt.
    Für einen Augenblick starrte der Dorfpriester fassungslos auf das Bild, das sich ihm bot, und betrachtete ungläubig Gudruns
     langes, gelöstes Haar. Dann übermannte ihn wilder Zorn. »Wie kannst du es wagen! Wo ich es dir ausdrücklich verboten habe!«
     Er packte Gudrun und wollte sie aus dem Bett zerren. »Heidnische Hexe!«
    |23| Johanna klammerte sich an ihre Mutter. Das Gesicht des Dorfpriesters lief dunkel an. »Scher dich fort, du Balg!« brüllte er.
     Johanna zögerte, hin und her gerissen zwischen Furcht und dem Verlangen, ihre Mutter irgendwie zu beschützen.
    Hastig und drängend stieß Gudrun sie an. »Geh. Rasch.
Geh rasch!«
    Johanna löste sich von ihr, sprang auf den Fußboden und rannte los. An der Tür drehte sie sich um und sah, wie ihr Vater das
     Haar der Mutter packte, ihren Kopf brutal nach hinten drückte und sie auf die Knie zwang. Johanna lief los, wollte zur Mutter
     zurück. Doch vor Entsetzen blieb sie wie angewurzelt stehen, als sie sah, wie ihr Vater sein langes Jagdmesser mit dem Hirschhorngriff
     unter dem geschnürten Gürtel hervorzog.
    »Forsachistu diabolae?« fragte er Gudrun auf Sächsisch, und seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Als sie nichts erwiderte,
     drückte er ihr die Messerspitze an die Kehle. »Sag die Worte«, zischte er drohend.
»Sag die Worte!«
    »Ec forsacho allum diaboles«, schluchzte Gudrun unter Tränen, doch in ihren Augen funkelte Trotz. »Wuercum und wuordum, thunaer
     ende woden ende saxnotes ende allum …«
    Vor Angst wie erstarrt, beobachtete Johanna, wie ihr Vater wieder Gudruns Haar packte, mit der einen Hand einen dicken Zopf
     bildete und mit der anderen Hand das Messer darüberzog. Es gab ein reißendes Geräusch, als die seidenen Strähnen durchtrennt
     wurden, und ein langes, dickes, weißgoldenes Haarbüschel fiel zu Boden.
    Johanna schlug die Hand vor den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken, warf sich herum und rannte los.
    In der Dunkelheit prallte sie gegen eine Gestalt, die nach ihr griff. Sie kreischte vor Angst, als sie gepackt wurde. Die
     Hand des Ungeheuers! Die hatte sie vollkommen vergessen! Johanna wand sich, trommelte mit den kleinen Fäusten auf die Bestie
     ein und wehrte sich mit aller Kraft. Doch das Ungeheuer war riesengroß und hielt sie fest gepackt.
    »Johanna! Was ist denn, Johanna? Ich bin’s!«
    Die Worte durchdrangen den Schleier aus Angst und Entsetzen. Es war ihr zehnjähriger Bruder Matthias, der gemeinsam mit dem
     Vater heimgekehrt war.
    »Wir sind wieder zu Hause. Hör endlich auf, um dich zu schlagen, Johanna! Es ist alles gut!
Ich
bin’s.« Johanna streckte |24| einen Arm aus und spürte die glatte Oberfläche des Brustkreuzes, das Matthias stets trug. Dann ließ sie sich erleichtert gegen
     ihn sinken.
    Einige Zeit später saßen sie zusammen in der Dunkelheit und lauschten den leisen, ratschenden Lauten, mit denen das Messer
     des Vaters das lange Haar ihrer Mutter abtrennte. Einmal hörten sie, wie Gudrun vor Schmerz aufschrie. Matthias fluchte laut,
     und wie als Antwort erklang ein Schluchzen aus dem Bett, auf dem sich Johannas jüngerer, achtjähriger Bruder Johannes unter
     den Decken versteckt hatte.
    Endlich verstummten die gräßlichen Laute. Nach einer kurzen Pause erklang die murmelnde Stimme des Dorfpriesters. Er betete.
     Johanna spürte, wie Matthias sich entspannte. Es war vorüber. Sie schlang die Arme um den Hals des älteren Bruders und weinte.
     Er hielt sie fest und wiegte sie sanft.
    Nach einer Weile blickte sie zu ihm auf.
    »Vater hat Mama eine Heidin genannt.«
    »Ja.«
    »Aber das ist sie nicht«, sagte Johanna zögernd, »oder doch?«
    »Sie
war
es.« Als er den Ausdruck entsetzten Unglaubens auf dem Gesicht der kleinen Schwester sah, fügte er rasch hinzu: »Vor langer
     Zeit. Sie ist es längst nicht mehr. Aber was sie dir vorhin erzählt hat, waren Geschichten von den Heiden.«
    Johanna hörte zu weinen auf, denn diese Information war höchst interessant.
    »Du kennst doch das erste Gebot, nicht wahr?«
    Johanna nickte und zitierte gehorsam: »Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.«
    »Ja. Das bedeutet, daß es die Götter gar nicht gibt, von denen Mama erzählt hat, und daß es Sünde ist, von ihnen zu sprechen.«
    »Hat Vater sie deshalb …?«
    »Ja«, unterbrach Matthias die kleine Schwester. »Mama mußte zum Wohle ihrer Seele bestraft werden. Und sie hat ihrem Ehemann
     nicht gehorcht, und auch das ist ein

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