Die Päpstin
ausschalten können.«
Arsenius schüttelte den Kopf. »Es ist zu riskant. Falls du keinen Erfolg hast, bedeutet es das Ende deiner Familie … das Ende
all dessen, wofür wir so viele Jahre gekämpft haben.«
Er hat Angst,
dachte Anastasius, und diese Erkenntnis erfüllte ihn mit heimlicher Genugtuung. Sein Leben lang hatte |543| er sich auf die Hilfe und den Rat seines Vaters gestützt – und hatte dies zugleich aus tiefster Seele verabscheut. Jetzt,
endlich einmal, erwies
er
sich als der Stärkere.
Vielleicht,
ging es Anastasius durch den Kopf, während er den alten Mann mit einer Mischung aus Mitleid und Liebe betrachtete,
vielleicht war diese Angst, dieser Mangel an Willenskraft im alles entscheidenden Moment der Grund dafür, daß ihm der Weg
zu wahrer Größe versperrt geblieben ist.
Sein Vater bedachte ihn mit einem seltsamen Blick. In den Tiefen dieser vertrauten, geliebten Augen, die mit den Jahren verblaßt
waren, konnte Anastasius Kummer und Besorgnis lesen – und noch etwas anderes; etwas, das er nie zuvor in diesen Augen erblickt
hatte: Achtung.
Er legte Arsenius die Hand auf die Schulter. »Vertraue mir, Vater. Ich werde dich zu einem stolzen Mann machen, das verspreche
ich.«
Der Bittag war ein festes, kein bewegliches Fest, das stets am 25. April gefeiert wurde. Wie viele andere unbewegliche Feiertage
– darunter das Fest des Stuhles Petri, die Quatemberwochen und Weihnachten – konnte auch der Bittag bis auf heidnische Wurzeln
zurückverfolgt werden. Im antiken Rom hatten am 25. April stets die Robigalia stattgefunden, die heidnischen Feste zu Ehren
des Robigo, des Gottes von Frost und Eis, der gerade zu dieser Jahreszeit durch sein Erscheinen den erblühenden Früchten des
Feldes verheerende Schäden zufügen konnte, sofern man ihn nicht durch Geschenke und Opfer gnädig zu stimmen versuchte.
Die Robigalia waren ein fröhliches Fest gewesen, zu dem auch ein Umzug durch die Stadt bis auf die Getreidefelder gehörte,
wo feierlich Tieropfer dargebracht wurden; dann fanden auf den weiten Feldern der Campagna Wettläufe und Spiele und andere
Arten von Vergnügungen statt. Statt nun diese altehrwürdige Tradition aus der antiken römischen Zeit zu beenden, hatten die
frühen Päpste klugerweise beschlossen, das Fest beizubehalten; eine Abschaffung hätte lediglich dazu geführt, daß man jene
Menschen vor den Kopf gestoßen hätte, die man erst noch für den wahren Glauben gewinnen wollte. Allerdings wurde dem Fest
ein mehr christlicher Charakter verliehen.
Die Prozession am Bittag führte noch immer über die Getreidefelder; |544| doch zuerst wurde an Sankt Peter haltgemacht, wo eine feierliche Messe gelesen wurde, um Gott zu preisen und – vermittels
der Fürbitte durch die Heiligen – seinen Segen für die Ernte zu erflehen.
Das Wetter war dem Anlaß entsprechend: Der Himmel über Rom war tiefblau wie ein frisch gefärbtes Kleidungsstück und vollkommen
wolkenlos; die Sonne warf ihr goldenes Licht auf Bäume und Häuser, und ihre willkommene Wärme vertrieb den immer noch eisigen
Hauch eines Nordwindes.
Johanna ritt in der Mitte der Prozession hinter den Akoluthen und den
defensores,
die zu Fuß gingen, sowie den sieben Diakonen aus den verschiedenen Regionen Roms, die zu Pferde unterwegs waren. Hinter Johanna
ritten die
optimates
und andere Würdenträger aus dem apostolischen Palast. Als der lange Zug sich mit seinen farbenfrohen Wimpeln und Bannern über
den Hof des Laterans bewegte und am Bronzestandbild der
mater romanorum
vorüberzog, der römischen Wölfin, verlagerte Johanna des öfteren das Körpergewicht auf dem Rücken ihres weißen Zelters; offenbar
war der Sattel nicht richtig aufgeschnallt, denn ihr tat jetzt schon der Rücken weh; der dumpfe, pochende Schmerz kam und
verschwand in regelmäßigen Abständen.
Zusammen mit anderen Wachtposten ritt Gerold immer wieder zwischen der Spitze der Prozession und dem Schluß hin und her. Dann
brachte er seinen Hengst auf gleiche Höhe mit Johannas Pferd und fragte besorgt: »Fühlt Ihr Euch nicht wohl? Ihr seht blaß
aus.«
»Es geht mir gut.« Sie lächelte ihn an; seine Nähe gab ihr Kraft.
Die lange Prozession bog in die Via Sacra ein, und augenblicklich wurde Johanna mit donnernden Jubelrufen begrüßt. Da Lothar
und sein Heer sich in der Stadt aufhielten und eine ständige Bedrohung darstellten, hatten sich so viele Menschen wie nie
zuvor auf den Straßen und Gassen
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