Die Palm-Beach-Verschwoerung
automatisch. Wir betraten einen Vorraum mit verspiegelten Wänden und einer weiteren Tür aus massivem Stahl. Als Sol einen Knopf drückte, glitt eine kleine Metallabdeckung zur Seite. Dahinter befand sich ein Bildschirm, auf den er seine Hand legte. Er blitzte kurz auf, dann leuchtete ein grünes Licht, und die Stahltür summte.
Sol fasste meinen Arm. »Halt den Atem an, Neddie. Du wirst eines der letzten großen Wunder der Welt sehen.«
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Wir betraten einen großen, wundervoll beleuchteten Raum. Edler Teppich, herrliche Stuckverzierungen um eine Kuppel. Als einzige Möbel standen in der Mitte vier hohe, schwarze und auf jeweils eine andere Wand ausgerichtete Ledersessel.
Ich traute meinen Augen nicht.
An den Wänden hingen Gemälde. Acht Stück. Meisterwerke.
Ich war kein Experte, aber ich erkannte die Maler, ohne dafür in ein Buch schauen zu müssen. Rembrandt. Monet.
Eine Weihnachtsszene. Michelangelo.
Bilder, die sich unauslöschlich in mein Gehirn gebrannt hatten. Alle unbezahlbar.
Eins der letzten großen Wunder der Welt!
»Meine Güte, Sol«, sagte ich nur und blickte mich mit großen Augen um. »Du bist ja ein verdammt fleißiges Bienchen.«
»Komm hierher.« Sol fasste wieder meinen Arm. Auf einer hölzernen Staffelei in der Mitte des Raumes stand ein Bild, von dem ich bisher nur die Beschreibung kannte. In einem einfachen Goldrahmen. Eine Waschfrau in grauem Kleid. An einem Waschbecken. Mit dem Rücken zum Betrachter. Sanftes Licht umgab sie bei ihrer Arbeit. Und die Signatur unten am Rand:
Henri Gaume.
Überall um uns herum befanden sich Meisterwerke. Ein weiterer Rembrandt. Ein Chagall. Ich zuckte mit den Schultern. »Warum das hier?«
Sol trat zum Gemälde und hob vorsichtig die Leinwand ab. Ich staunte nicht schlecht, als darunter ein anderes Bild zum Vorschein kam. Eins, das ich erkannte. Ein Mann saß im Garten an einem Tisch. Zerzaustes, rotes Haar, das unter einer
Kappe herausstand, leuchtend blaue Augen. Sein Gesicht drückte Weisheit aus, doch sein Blick war von Melancholie gezeichnet. Ich riss meine Augen immer weiter auf.
»Ned«, sagte Sol und trat zurück, »ich möchte dir Dr. Gachet vorstellen.«
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Blinzelnd betrachtete ich diesen traurigen, nach vorne gebeugten Mann. Das Bild sah etwas anders aus als das aus dem Buch, das Dave mir mitgebracht hatte. Aber es war unverwechselbar ein van Gogh, der hinter dem Gaume versteckt gewesen war.
»Der verschollene Dr. Gachet«, verkündete Sol stolz. »Van Gogh hat im letzten Monat vor seinem Tod zwei Porträts von Dr. Gachet gemalt. Dieses hier hat er seinem Vermieter gegeben, und es lag die letzten hundert Jahre auf einem Dachboden in Auvers herum. Stratton hatte davon erfahren.«
»Dann hatte ich also Recht«, murmelte ich. Wut braute sich in mir zusammen. Mein Bruder und meine Freunde waren für dieses Bild gestorben. Und Sollie hatte es die ganze Zeit gehabt.
»Nein«, widersprach Sol kopfschüttelnd. »Liz hatte das Bild gestohlen, Ned. Sie hatte von dem getürkten Raub erfahren und war deswegen zu mir gekommen. Ich kannte ihre Familie schon lange. Sie hatte vorgehabt, Stratton zu erpressen. Ich bin gar nicht sicher, ob sie wusste, was so wichtig an diesem Bild war. Nur dass Dennis es mehr als alle anderen liebte und sie ihm schaden wollte.«
»Liz …?«
»Mit Lawsons Hilfe. Als die Polizei kam, nachdem deine Freunde eingebrochen waren.«
In meinem Gehirn wirbelte alles durcheinander. Ich stellte mir den großen Detective vor, von dem Ellie dachte, er wäre Strattons Mann gewesen. »Lawson? Lawson arbeitet für dich?«
»Detective Vern Lawson arbeitet für die Gemeinde von Palm Beach, Ned«, verwahrte sich Sol mit einem Achselzucken. »Sagen wir, ab und zu hält er mich auf dem Laufenden.«
Ich blickte Sol mit ganz anderen Augen an. Wie jemanden, den man zu kennen dachte, der aber auf einmal in einem anderen Licht erschien.
»Sieh dich um, Ned. Siehst du diesen Vermeer? Die Tuchweber. Es gilt seit dem achtzehnten Jahrhundert als vermisst. Aber das war es nicht. Es befand sich nur in Privatbesitz. Und Isaaks Tod von Rembrandt. Dieses Bild erwähnt er lediglich in seinen Briefen. Niemand weiß, dass es dieses Bild tatsächlich gibt. Es hing dreihundert Jahre unentdeckt in einer Kapelle in Antwerpen. Das ist das Allerschönste an all diesen Schätzen - dass niemand weiß, dass sie hier sind.«
Ich war einfach nur verblüfft.
»Und dann dieser Michelangelo da drüben …« Sol nickte anerkennend. »Der war
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