Die Papiermacherin
Teil des Doms von San Marco.« Er seufzte. »Daran wird allerdings schon so lange gearbeitet, dass es nicht der erste Plan wäre, der unverwirklicht bleibt, weil sich die Vorstellungen über die Erhabenheit und Schönheit eines Doms schneller zu ändern scheinen, als man diese Bauwerke errichten kann!« Er machte eine Pause, und Li spürte, dass er etwas hinzufügen wollte, aber noch zögerte, es wirklich auszusprechen. »Ihr solltet Euch vor meinem Bruder in Acht nehmen«, sagte er.
»Was meint Ihr damit?«
»Ich will es so ausdrücken: Er kann ziemlich unangenehm werden, wenn er nicht bekommt, was er haben will.«
Mit der Zeit gewöhnte sich Li an die Mundart der Venezianer und begann, sich die Besonderheiten ihrer Aussprache selbst zu eigen zu machen. Christos fiel es schwerer, auf Venezianisch zu sprechen. Wenn er zusammen mit Li in der inzwischen funktionsfähigen Werkstatt arbeitete, bevorzugte er nach wie vor das Griechische, obwohl Li ihn immer wieder dazu zu bewegen versuchte, die Sprache der Stadt zu benutzen, in der sie lebten und arbeiteten. Doch dazu ließ er sich meist nur für kurze Zeit drängen, dann verfiel er erneut in die Sprache seiner Heimat.
Schon eine ganze Weile hatten Li und Christos, die Herstellung von Papier aufgenommen, aber bisher war es eine überschaubare Anzahl von Blättern geblieben, die sie an den Leinen zum Trocknen aufhängen konnten.
»Der Engpass liegt bei den Lumpen!«, meinte Christos, und er hatte damit durchaus Recht. »Wir haben einfach zu wenig Lumpen!«
»Es ist nicht so leicht, hier in Venedig abgetragene Kleider zu bekommen«, stellte Li fest. »Und wenn man welche findet, sind sie auch noch viel teurer als in Konstantinopel.«
»Vielleicht sind die Menschen hier weniger eitel und behalten ihre Kleidung so lange, bis sie ihnen vom Leibe fällt«, vermutete Christos. Li schüttelte den Kopf, und als ihr klar wurde, dass Christos ihre Geste ja nicht hatte sehen können, sagte sie: »Nein, das glaube ich nicht.«
»Und was ist Eurer Meinung nach der Grund?«
»Die Stadt ist viel kleiner als Konstantinopel. Hier gibt es weniger Menschen, die es sich leisten können, ihre Kleidung öfter mal neu zu kaufen.«
Die Bevölkerung in den ländlichen Gebieten auf dem Festland schien in dieser Frage ohnehin etwas anders eingestellt zu sein als die Menschen in der Stadt. Das war ihr schon aufgefallen, als sie sich zusammen mit einem Wächter der D’Antonios in einer Gondel ans Festland hatte bringen lassen, wo zwei Pferde für einen Erkundigungsritt für sie bereitstanden.
Viele Bauern sahen aus, als hätten sie ihre Kleider bereits von der vorangegangenen Generation geerbt.
»Lorenzo sagt, dass man Lumpen auch von anderswo her über den Hafen beziehen kann!«, sagte sie. »Er würde da jemanden kennen …«
»Was ist eigentlich mit dem Kontrakt, den er Euch versprochen hat und in dem alles, was es zwischen Euch zu regeln gibt, genau aufgeschrieben ist?«, erkundigte sich Christos.
Li seufzte schwer. »Diesen Kontrakt gibt es noch nicht«, stellte sie fest, und dabei fiel ein Schatten auf ihr Gesicht. Das war einer von mehreren Punkten, die ihr nicht gefielen, was ihre Arbeit hier in Venedig betraf – und insbesondere das Verhältnis zu ihrem Geschäftspartner Lorenzo D’Antonio. Immer wieder hatte sie ihn darauf angesprochen. Mal war er angeblich verhindert, obwohl er dann später beim Festmahl der D’Antonio-Familie auftauchte, um sich den Bauch vollzuschlagen, mal war der Text des Kontrakts angeblich fertig, und Lorenzo ließ ihn von einem Bekannten daraufhin prüfen, ob irgendein Passus gegen die in der Republik Venedig geltenden Bestimmungen verstieß.
»Er hält Euch hin«, lautete Christos ’ Ansicht dazu. »Ich glaube nicht, dass es je einen Kontrakt geben wird.«
Mehrfach stellte Li Proben ihres Könnens her, die Lorenzo Kaufleuten aus der Stadt zeigte, damit sie sich an den Kosten des Geschäfts beteiligen sollten. Darunter war ein gelbliches Papier mit einem besonders kunstvollen Wasserzeichen, das sie außerdem noch lackiert hatte.
Als Lorenzo dieses Blatt sah, runzelte er die Stirn. »Das sieht aus wie …«
»Safran«, sagte Li. »Ich bin überzeugt, dass Ihr damit auf Eure Handelspartner Eindruck machen werdet!«
Am Abend klopfte es an der Tür ihres Gemachs, das Li immer noch im Haupthaus des Palazzo D’Antonio bewohnte. Es ging schon auf Mitternacht zu. Eine Kerze in einem Glasgefäß erhellte den Raum, denn das Glas vervielfältigte
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