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Die Papiermacherin

Titel: Die Papiermacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Conny Walden
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aufgegeben.
    »Wir brauchen auch noch Rosshaar und Flechtwerk zur Herstellung von Sieben«, erklärte sie dem Stammesführer. Zwar hatte Meister Wang sein Sieb mit in die Gefangenschaft genommen, aber ein einziges Sieb reichte natürlich nicht aus. Schließlich sollte das Buch ohne Zeichen möglichst schnell fertig werden. »Die Satteldecken deiner Männer scheinen mir gut geeignet zu sein, um die Feuchtigkeit aufzunehmen, wenn die Blätter gepresst und getrocknet werden«, fuhr Li fort.
    Der alte Mann nickte langsam und mit einer Bedächtigkeit, wie sie dem Alter vorbehalten war.
    Da der ältere Toruk sich Li gegenüber nicht ungewogen zeigte, war es zu ihrer Aufgabe geworden, die Anliegen der Papiermacher vorzubringen. Ihr Vater hatte es jedenfalls nicht geschafft, das Ohr des Anführers zu finden. Li hegte den Verdacht, dass dieser manchmal auch gar nicht verstand, was eigentlich alles zur Herstellung des herbeigesehnten Buches notwendig war. Für den älteren Toruk grenzte ihr Handwerk an Magie, und so gab sich Li auch jetzt wieder große Mühe, ihm die Zusammenhänge zu erklären. Sie beschrieb ihm, was sie beabsichtigten. Dass die zerschlagenen Lumpen mit bestimmten Gräsern, Baumrinde, Holz oder anderen Pflanzen zusammengemischt wurden, dass man alles in Kesseln aufkochte, erneut zerschlug, bis nur noch ein Brei übrig blieb, aus dem dann mit dem Sieb die Blätter herausgeschöpft wurden. »Wenn man sie vollkommen glatt haben will und von beiden Seiten beschreiben möchte, kann man sie mit Leim bestreichen, der sich aus Knochen und Harz gewinnen lässt«, fügte sie noch hinzu. »Dann bekommt das Papier Glätte, wie sie sonst nur die Haut von Säuglingen besitzt, sodass kein Federstrich stockt und ein Kalligraf sich nur noch ganz seiner Kunst und nicht dem Material zu widmen braucht!«
    »Wenn du das sagst, klingt es so leicht und schön wie die Poesie der Straßendichter von Samarkand«, erwiderte der ältere Toruk, und seine Stimme hatte dabei einen fast melancholischen, weichen Klang, wie man ihn in diesem weiten Niemandsland zwischen dem Reich der Mitte des Ostens und dem sagenhaften Römischen Reich der Mitte des Westens nur selten zu hören bekam. »Ich sehe es schon vor mir, dieses Buch … Auch wenn so viel mehr dafür notwendig ist, als ich zunächst geglaubt habe!« Er seufzte. Und dann blitzte es in seinen Augen auf eine Art und Weise, die Li sehr stark an den Sohn erinnerte. »So höre, was ich entscheide: Mein Sohn wird dir sein bestes Pferd geben und dich bei der Suche begleiten, Han-Frau.«
    »Mir steht es nicht zu, mich dazu zu äußern«, sagte Li daraufhin, die ihr Entsetzen nur schwer zu verbergen vermochte.
    »Dann halte dich an das, was du als richtig erkannt hast«, erwiderte der ältere Toruk. »Und sei unbesorgt – mein Sohn Toruk wird dich zu jedem Baum begleiten, den du für richtig hältst, und dich dabei beschützen, als wärst du seine Schwester.«
    »Er verabscheut mich.«
    »Er wird seine Abscheu bezähmen, und vor allem wird er den Herzenswunsch seines Vaters genau so erfüllen, wie es ihm gesagt wurde. Glaub mir, er wird nicht einmal ein böses Wort dir gegenüber verlauten lassen.«
    Als der Stammesführer den Blick abgewandt hatte, sah Li in seine Gesichtszüge. Der Blick seiner müde gewordenen Augen war in fernes Nichts gerichtet. Li verstand plötzlich, weshalb der ältere Toruk seinem Sohn diese Pflicht aufbürdete, die eigentlich jeder seiner Wächter erfüllen konnte. Ja, es wäre sogar möglich gewesen, Li einfach auf sich gestellt losziehen zu lassen, um einen geeigneten Baum zu suchen, denn der Gedanke an Flucht verbot sich aus mehreren Gründen. Schon die Tatsache, dass ihr Vater und Gao noch gefangen waren, hätte sie daran gehindert. Aber da sie sich in diesem Land nicht ein bisschen auskannte und es auch durch ihre Erziehung keineswegs gewöhnt war, allein durch die Wildnis zu streifen, hätten sie die schnellen Reiter jederzeit einholen und zurückbringen können. Ihnen waren die endlosen Weiten ebenso vertraut wie anderen Menschen die engen Gassen einer Stadt.
    Aber der ältere Toruk bezweckte offensichtlich etwas damit.
    Er wollte seinen Sohn demütigen und ihm zeigen, dass der Vater immer noch über dem Sohn stand.
    Genau dieser Umstand gefiel Li an der Sache am wenigsten.
    Li bekam ein gutes Pferd. Außer dem jüngeren Toruk begleiteten sie zwei Männer, die Li bisher nur in der Nähe des älteren Toruk gesehen hatte. Ihre Gesichter waren wettergegerbt

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