Die Papiermacherin
Leben.«
Sie gingen neben den Kamelen her, die völlig überladen waren, aber ihren Weg trotzdem mit einer großen Gelassenheit gingen, als könnte sie nichts erschüttern. Ganz gleich, was hinter dem nächsten Gebirge auf sie wartete.
»Wir werden uns blutige Füße holen«, glaubte Gao.
»Schlimmer als das, was wir hinter uns haben, kann das Kommende auch nicht mehr werden«, entgegnete Li.
»Deine Worte sind ein Zeichen mangelnder Erfahrung«, wandte sich Meister Wang an seine Tochter. »Aber wir werden sehen. Alles Klagen hilft uns nicht.«
Nach einer Weile war vom Lager der Uiguren nichts mehr zu sehen und seltsamerweise fühlte sich Li in jenem Moment wie befreit, obwohl das eigentlich absurd war, schließlich hatte sie nur die eine Gefangenschaft gegen eine andere getauscht.
Und doch war ihr jetzt viel leichter ums Herz. Die Welt, die sie in Xi Xia gekannt hatte, war wohl für immer für sie versunken, und vielleicht war es das Beste, sich frühzeitig mit diesem Verlust abzufinden und sich vom Alten zu verabschieden. Wer weiß, dachte sie, womöglich entgehe ich der Seuche, die dort jetzt anscheinend wütet, nur deshalb, weil ich verschleppt wurde.
Die Füße begannen irgendwann zu schmerzen, aber schließlich achtete sie gar nicht mehr darauf. Li interessierte sich besonders für den christlichen Mönch, der die Karawane begleitete. Er ging wie die Gefangenen und die Kameltreiber zu Fuß, während Babrak der Feilscher und seine gleichermaßen berittenen wie bewaffneten Begleiter sich manchmal eine Meile oder mehr von der Karawane entfernten, um die Gegend zu erkunden und zu sehen, ob es irgendwo in der Umgebung vielleicht etwas gab, dem man lieber auswich. Ein sumpfiges Gelände zählte ebenso dazu wie bestimmte Nomadenstämme, die als räuberisch bekannt waren.
In der Ferne ragten schroffe Gebirge auf, aber während sich die Stunden zu Tagen sammelten, hatte Li manchmal das Gefühl, immer wieder denselben Weg zu gehen, da sich die Lage dieser Berge kaum zu verändern schien.
Abends wurde ein Feuer gemacht und ein einfaches Lager errichtet. Man schlief draußen. Li war aufgefallen, dass auf den Kamelen auch das Gestänge einer Jurte mitgeführt wurde, doch den Aufwand, sie aufzubauen, lehnte Babrak der Feilscher offenbar ab. Die Nächte waren zwar manchmal bitterkalt, aber kurz, denn das Lager wurde erst spät errichtet und der Aufbruch erfolgte morgens gleich nach den ersten Strahlen der Sonne. Das Ziel des Karawanenführers war anscheinend, so schnell wie möglich gen Westen zu gelangen.
Li hatte bemerkt, dass der Mönch sich mit den Kameltreibern auf Persisch unterhielt. Als sie am Feuer saßen, sprach Li ihn daher an.
»Seid Ihr ein Gefangener?«, fragte sie.
Der Mönch wandte ihr sein bärtiges, von Wind und Wetter zerfurchtes Gesicht zu. Seine Haut glich dunkelbraunem, abgegriffenem Leder, gezeichnet durch ein Relief von Falten. Die Augen waren so blau wie der Himmel über Xi Xia an einem schönen, klaren Frühlingstag.
»Nein, ich bin kein Gefangener«, sagte er. »Ich war auf einer Reise in die Länder des Ostens, und ich habe Babrak dem Feilscher einige Silberstücke dafür bezahlt, dass er mich mitnimmt.«
»So seid Ihr doch ein vermögender Mann, obwohl ich gehört habe, dass die Mönche der Christen sich zur Armut verpflichten, wie es auch die Mönche tun, die in der Lehre Buddhas ihr Heil suchen.«
Li musste den Satz dreimal wiederholen, bis der Mönch sie verstand. Die persische Zunge war für sie beide fremd, und es war eben doch etwas anderes, ob man nur Rosshaar für ein Sieb auf dem Markt kaufte oder sich richtig unterhalten wollte. Dann lächelte der Mönch. Er hatte offenbar erfasst, was sie meinte. »Es ist nicht mein Geld, das ich Babrak gab, sondern das der heiligen Kirche von Konstantinopel …«
»So hat Euch Eure Kirche in den Osten geschickt? So seid Ihr ein Missionar, der seinen Glauben verbreiten will?«
»Durch sein gutes Beispiel sollte jeder Christ ein Missionar sein«, sagte der Mönch.
»Erzählt mir von Konstantinopel«, sagte Li, denn sie hatte den Namen dieser Stadt schon gehört. Die Legende von ihrem sagenhaften Reichtum und dem Gold ihrer Kuppeln war weit nach Osten gedrungen. »Sie soll die neue Hauptstadt des Römischen Reiches sein und prächtiger als alle anderen Städte …«
»Das Römische Reich ist schon vor langer Zeit untergegangen«, sagte der Mönch.
»Das höre ich mit Bedauern. Aber es wird von Neuem erstehen«, erwiderte Li. »Das
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