Die Papiermacherin
Kapitel
Gefangen und verschleppt
Die Uiguren nahmen nichts mit, was sich nicht auf den Rücken eines Pferdes hieven ließ. Die erbeuteten Pferde wurden zusammengetrieben und zu einem Gutteil mit Waren und Silbervorräten der Fellhändler beladen. Sämtliche Sättel, die man auftreiben konnte, wurden anderen, noch ungesattelten Gäulen auf den Rücken geschnallt.
»Vater, was wird jetzt?«, fragte Li, während sich all das vor ihr abspielte.
»Was nun geschieht, haben wir nicht in der Hand«, sagte der Papiermacher mit einer äußeren Gelassenheit, die Li nicht in derselben Weise aufzubringen vermochte. Furcht vor der Ungewissheit schnürte ihr die Kehle zu. Als Konkubine irgendeinem der ungezählten Klein-Khane an der Seidenstraße verkauft zu werden war nun wirklich nicht das, was sie sich für ihr Leben vorgestellt hatte. Aber zur Arbeit in einen fernen, unzivilisierten Ort fortgeschafft zu werden bot ebenfalls keine rosigen Aussichten. Li hörte nicht zum ersten Mal davon, dass begehrte Handwerker von Räuberbanden verschleppt wurden, um an weit entfernten Orten zu dienen, an denen Meister ihrer besonderen Kunst fehlten. Begabte Waffenschmiede gehörten ebenso dazu wie Baumeister oder Rechenkünstler. Normalerweise gelang es keinem von ihnen, jemals in die Heimat zurückzukehren, und darüber, wie es ihnen in der Fremde erging, konnte man nur Vermutungen anstellen.
Li wurde auf ein Pferd gesetzt. Da ihr Kleid zum Reiten eigentlich nicht geeignet war, schlitzte der Uigurenkrieger, der ihr in den Sattel half, es kurzerhand mit seinem Schwert ein Stück auf.
Innerhalb von weniger als einer Stunde hatten die Uiguren alles auf den Rücken von Pferden gebracht, was sie mitzunehmen gedachten – Menschen und Waren. Ohnmächtig vor Wut stand so mancher Händler da, der hilflos mit ansehen musste, wie seine Waren fortgeschafft wurden. Aber nur der Teil, der sich problemlos mitnehmen ließ. Krüge und andere zerbrechliche Gegenstände zerschlugen die fremden Reiter manchmal aus purem Mutwillen.
Allerdings wagte es niemand, sich zu wehren. Die Händler – die meisten von ihnen Perser – konnten froh sein, wenn man sie nicht für reich hielt, sodass es vielleicht lohnte, sie zu verschleppen und ein Lösegeld zu fordern.
Dieses Schicksal ereilte hingegen mehrere Dutzend Angehörige der angesehensten Familien. Die Uiguren nahmen immer nur ein Mitglied gefangen und schätzten den Reichtum der jeweiligen Familie schlicht nach der Ausstattung ihres Hauses ein oder nach der Art der Kleidung.
Li klammerte sich am Sattelknauf fest. Es war nicht das erste Mal, dass sie auf dem Rücken eines Pferdes saß, denn hin und wieder war sie mit ihrem Vater oder dessen Gesellen die Nachbarorte abgeritten, um Lumpen aufzukaufen. Lumpen, die man zerstampfen und aus denen man schließlich den kostbaren Stoff fertigen konnte, der Gedanken und Gesetze trug und dessen ganz besondere Magie es sogar ermöglichte, dass er sich fliegend in die Lüfte erhob – vorausgesetzt, man wusste ihn richtig zu falten und die Windgeister waren einem gnädig.
Auch die anderen Gefangenen saßen schon auf Pferden. Sie zu fesseln schienen ihre Bewacher nicht für nötig zu halten, schließlich war keiner der Bedauernswerten bewaffnet.
Darüber hinaus wurde jedes der gefangenen Pferde noch mit Gepäck behängt, darunter gepökeltes Fleisch, Felle, Decken und was die Uiguren sonst für wertvoll erachteten. Nur Waffen, Schmuck und Silbermünzen hielten Toruk und seine Männer von den Gefangenen fern. Gürtel und farbige Gewänder, die den Reitern gefielen, und den ein oder anderen Zierdolch nahmen die berittenen Krieger sofort an sich. Dann preschte die Horde davon. Zurück blieben zahllose Tote. Wen die Uiguren von der tangutischen Stadtwache noch lebend aufgefunden hatten, brachten sie um. So bald sollte niemand sie verfolgen.
Die Zurückbleibenden waren waffenlose Händler und verzweifelte Angehörige der Verschleppten, die nun Lösegelder auftreiben mussten. Und das, nachdem man gerade vollkommen ausgeplündert worden war! Wer keine reichen Verwandten andernorts hatte, für den sanken die Chancen auf eine Rückkehr.
Der Ritt war so scharf, dass Li Mühe hatte, sich im Sattel zu halten. Sie war völlig verkrampft und klammerte sich mit aller Kraft am Knauf fest. Die Uiguren nahmen die Pferde mit den Gefangenen in ihre Mitte. Es war keineswegs ausgeschlossen, dass diese dreisten Diebe sich soeben genau die Pferde zurückholten, die sie
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