Die Papiermacherin
Papierbrei, was man den Blättern später auch ansieht! Ja, manche Blätter riechen sogar nach Hühnermist, Kamelhaaren und Dingen, die so unrein sind, dass ich mir gar nicht erst vorzustellen versuche, wie unsere edle Kunst da im wahrsten Sinn des Wortes in den Schmutz gezogen wird.« Wang machte eine wegwerfende Handbewegung und verzog angewidert das Gesicht. Allein der Gedanke, dass auf solch unreines Papier womöglich heilige Gebete oder hohe Poesie geschrieben wurden, erschien ihm wohl wie eine unerträgliche Entweihung. Nie wurde er müde, sich über solchen Frevel am sauber ausgeführten Handwerk aufzuregen. Dann schüttelte er den Kopf, und sein Gesichtsausdruck bekam einen Zug von Melancholie. »Ich hätte in Bian mein Lebtag ein gutes Auskommen haben können, und wahrscheinlich hätte ich am Ende meiner Tage jedem meiner Söhne eine eigene Papiermanufaktur vererbt und jeder meiner Töchter eine reichliche Mitgift hinterlassen …« Wang ersparte es Li, sich das Verhängnis ein weiteres Mal in aller Ausführlichkeit berichten zu lassen. Ein Verhängnis, das mit der Machtergreifung eines Militärgouverneurs begann, der sich zum Kaiser aufgeschwungen hatte. Durch die Denunziation eines Konkurrenten war Wang auf eine Liste unliebsamer Personen gekommen. Nur die rasche Flucht hatte ihm und seiner Familie das Leben gerettet. Sein ehemaliger Besitz war in die Hände des Staates gelangt. Alles hatte er zurückgelassen und hier, im äußersten Westen, neu angefangen.
Xi Xia gehörte von Rechts wegen zwar noch zum Reich des Himmelssohnes, aber faktisch war das Gebiet unabhängig. Hier hatte sich Wang eine sichere Zukunft für seine Familie erhofft.
Doch diese Hoffnung hatte sich nicht erfüllt.
Seine Frau und seine Söhne waren tot – und in der Manufaktur, die Wang betrieb, arbeiteten nur drei angestellte Gesellen. Zweimal hatte Wang sie wieder aufbauen müssen. Einmal nach einem großen Feuer und ein anderes Mal nach dem Überfall von Steppenräubern. »Am Ende mit leeren Händen vor die Ahnen zu treten – das wünsche ich niemandem!«, murmelte Wang vor sich hin. Li wusste, dass er in diesem Augenblick mehr zu sich selbst als zu ihr sprach.
Von draußen waren jetzt aufgeregte Stimmen zu hören. Einer der Gesellen aus der Manufaktur stürzte herein. »Reiter kommen! Es sind viele! Sie tragen Fackeln!«
»Bei allen Göttern«, murmelte Wang, und das Gesicht des Papiermachers wurde bleich. »Verschließt Fenster und Türen!«, rief er und fasste dann den Gesellen bei den Schultern. »Sind die Türen und Läden der Werkstatt verschlossen, Gao?«
»Es wird uns nichts nützen!«, fürchtete der Geselle.
Li eilte zu einem der Fenster und schob den schweren Vorhang zur Seite. Das Donnern der Hufe war bereits unüberhörbar. Schreie gellten. Es waren von heiseren Männerstimmen ausgestoßene Befehle, und Li verstand zumindest ein paar Bruchstücke davon.
»Uiguren!«, stieß sie hervor.
In Xi Xia lebten Tanguten, Uiguren und Angehörige des Han-Volks aus dem Reich der Mitte seit jeher mehr oder weniger friedlich zusammen. Auf den Märkten dominierten diese drei Sprachen zusammen mit dem Persischen, und Li war daher von klein auf mit dem Uigurischen in Berührung gekommen, viele der Händler und Karawanenführer sprachen einen der uigurischen Dialekte und man sagte, dass es fast unmöglich war, ein Pferd oder ein Kamel zu einem gerechten Preis zu erhandeln, wenn man diese Sprache nicht beherrschte.
Li hatte immerhin genug davon aufgeschnappt, um sich einigermaßen verständigen zu können, so wie sie auch etwas Persisch verstand. Andernfalls hätte sie auf dem Markt keinen Handel abschließen können, denn kaum einer der Händler konnte sich gut genug in der Zunge des Han-Volks ausdrücken.
Mindestens hundert Reiter preschten die Hauptstraße entlang, in der sich fast alle Häuser des Ortes und die Stallungen der Karawansereien wie an einer Perlenkette aufreihten. Eine Schutzmauer aus angespitzten Palisaden umschloss zumindest den inneren Bereich der Siedlung, die um eine Wasserstelle herum angelegt worden war.
Meister Wangs Haus lag ebenso wie die Manufaktur außerhalb dieses geschützten Bereichs. Normalerweise zog man sich bei Gefahr hinter die Palisaden zurück – doch dazu war es längst zu spät. Die ersten Häuser brannten bereits. Die Angreifer schleuderten ihre pechgetränkten Fackeln auf die Dächer, die sofort Feuer fingen. Die tangutischen Wächter waren völlig unvorbereitet. Sie wurden
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