Die Patin
kümmern sich um ihr Image für die nächste Wahl; keine schädlichen Kontroversen aufbauen, viele Optionen für das Regieren nach der nächsten Wahl zumindest offenhalten. Die Folge: Keine Einigkeit bei den Analytikern dieser gemeinsamen Zeit von Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück. Die Kanzlerin auf Testfahrt hat es vermieden, mit scharfem Profil in den klassischen Kampfthemen aufzutreten. Sie begann mit der Perfektionierung ihres Politikstils: abtasten, wie weit die Positionen auseinanderliegen; das eigene Expertenlager den kontroversen Part vortragen lassen, ohne Stellung zu nehmen und zum Schluss – so dass da wieder alle spüren: ein Fenster geht auf – gibt es dann zum Beispiel den Mindestlohn für einige Branchen. Nun weiß jeder: Das ist ein Signal. Die Testfahrerin liefert keine glühenden Kanzlerworte, sondern sie gibt der Kugel, die schon rollt, einen unmerklichen letzten Schubs: Es hat sich so ergeben, dass jetzt ein paar Bereiche Mindestlohnlizenz erhalten; das heißt immerhin: Ein Alleinstellungsmerkmal der SPDist plötzlich in Auflösung; die Kanzlerin cancelt einen Streit, der verlässliche Profilierung für beide Seiten erlaubte – und zieht damit, ganz sachte, der SPD ein Stückchen Boden unter den Füßen weg.
Sie tut noch mehr: stimmt einer knackigen Rentenerhöhung zu, auch dies nahe am Auslaufdatum der Regierungszeit, damit das Wählergedächtnis die Wohltat abspeichern konnte. Merkel bewies auch großes Geschick in der Okkupation von Themen, die aus der rot-grünen Phase vor ihrer Kanzlerschaft noch halberledigt herumlagen; Themen mit rotgrünem oder SPD-Profil, die schon bald niemand mehr als Übernahmen aus dem sozialdemokratischen Credo erkennen konnte: Es dauerte nicht lange, und die gesamte Aufwertung weiblicher Berufstätigkeit und frühkindlicher Betreuung waren CDU-Domänen geworden. Faktisch wird mehr SPD- als CDU-Politik gemacht, aber die verdeckten Neueinfärbungen – aus Rot mach Schwarz – führten zu einer Marginalisierung der Parteienunterschiede, die ehemals für den vertrauten Ja-Nein-Kontrast von Regierung und Opposition gestanden hatten.
Der allgemeine Eindruck, begünstigt von ersten Krisenreaktionen der Regierung auf die Finanzkrise, die man noch eine ganze Weile als eine ‹Krise der anderen› verkaufen wollte, war ein Abschleifen der Kanten beider Parteien. Die Krise bot für dieses Aufeinanderzurücken das kardinale und – im Kanzlerdeutsch: ‹alternativlose› – Harmoniekonzept, von dem eine allgemeine und neue Beliebigkeitserfahrung ausging: Eigentlich wollen doch alle dasselbe, vielleicht sind die unversöhnlichen Gegnerschaften der ‹Volksparteien› schon Vergangenheit? Was da im Wählerkopf in Gang gesetzt wird, hat die Kanzlerin selbst bei ihrem Amtsantritt programmtisch befeuert: ‹Kanzlerin aller Deutschen› wolle sie sein – was auch ohne ihren erklärten Willen der Fall gewesen wäre – und was daher ihre Vorgänger nie als Spezialität verkündet hatten. Sie hätte auch sagen können: Kanzlerin aller Parteien; damit wäre sie der Brisanz ihres speziellen Machtkonzeptes schon nähergekommen.
Die Ergebnisse der Regierungsarbeit verteilten sich wie zufällig so auf die beiden Parteien, dass die CDU für die positiven, die SPD, zum Beispiel mit der Rente ab 67, für die negativen Nachrichten stand. Der Bundespräsident, von CDU und FDP als Finanzfachmann ins Amt geschoben,leistete sich die Freiheit, zwei Gesetze abzulehnen – für die Kanzlerin ein gar nicht unerwünschter Beleg seiner Unabhängigkeit. Die SPD-Justizministerin durfte den Negativeffekt für sich verbuchen. Horst Köhlers Entschlossenheit, zur Not ‹auch unbequem› zu sein, sollte sich später dann als tückisch erweisen.
Der auffallendste Positionswechsel der CDU in Richtung SPD-Konzept ist aber der Totalverlust der CDU-Position beim Projekt Gesundheit. Die zunächst völlig unversöhnliche Debatte, die schon vor dem Start der Großen Koalition Züge eines Glaubenskampfes hatte, in dem auch die FDP eine wichtige Rolle spielte, endete mit einem faulen Kompromiss, dem Gesundheitsfonds, der nichts von dem Befreiungsschlag brachte, den die Liberalen anstrebten: Entkoppelung der Gesundheitsbeiträge von der Steuer. An keiner Stelle war der alte Gegensatz zwischen sozialdemokratischer Staatsmedizin und liberaler Bürgermedizin so erbittert. Merkel hatte in ihrer liberalen Testphase trotz unglücklicher Begriffswahl – ‹Kopfpauschale› – allem Anschein
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