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Die Patin

Die Patin

Titel: Die Patin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gertrud Höhler
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nach auf das Projekt gesetzt. Es sollte Leuchtkraft vor allem von seiten der Liberalen entwickeln und etwas einleiten, was tatsächlich einen Genesungsprozess des Systems Staatgesundheit hätte einleiten können. Daniel Bahr, der Gesundheitsminister der schwarz-gelben Koalition, war schon als Gesundheitspolitischer Sprecher der FDP und später als Staatssekretär ein kenntnisreicher Kämpfer für dieses Modell. Merkel wurde bald stiller; auch unter dem weniger spottanfälligen Label ‹Gesundheitsprämie› war das Sozialpaket mitten ins sozialdemokratische Heiligtum der Staatsversorgung ohne Rücksicht auf den Kollaps eingebrochen. Es wurde von der versierten Ulla Schmidt gestoppt.
    Die Kanzlerin hatte längst unmerklich Abstand genommen, als das bürokratische Monster ‹Gesundheitsfonds› von weitem in Sicht kam. Niemand stellte eine Niederlage von Angela Merkel dort fest, wo sie soeben gescheitert war: in der Herzkammer marktwirtschaftlich-liberaler Politik. Mit diesem Vorhaben, das auch mit anderen Ländern Europas und der Schweiz abgestimmt war, verlor die ‹Neue soziale Marktwirtschaft›, Testfahrtthema der Merkel-Jahre zwischen 2002 und 2005, ihr wichtigstes Projekt. Merkel machte sich schon vorher unsichtbar; siewiederholte ihre Bekenntnisse der früheren Jahre nicht mehr. Im Februar 2007 wurde das sozialdemokratisch dominierte Konstrukt durchgesetzt; der Gebührenanstieg ging weiter; die Kostenlawine rollt. Die schwarzgelbe Koalition griff 2009 das zukunftssensible Thema nicht mehr im Grundsatz auf. Merkel hatte schon mit dem Start in diese Konstellation der ungleich großen Partner ein viel weitergehendes Projekt auf ihrer verdeckten Agenda: Alle Parteien, außer den Linken, in ein Boot – mit Themen, zu denen sie in den Jahren der Großen Koalition auch noch die Kernkraft zählte. Die CDU-Position vom ‹ausgewogenen Energiemix› hatte für Merkel auch die Funktion, eine Wirtschaftsklientel mit vertrauten Nachrichten zu versorgen, der sie auf der andern Seite den Einstieg in Mindestlöhne zumutete.
    Kernzitate aus der traditionellen Westorientierung der CDU hatte die spätere Kanzlerin schon als Oppositionschefin abgeliefert, als sie 2003 zum Thema Irak wissen ließ, die CDU Deutschlands stehe fest «an der Seite Amerikas». Kanzler Schröder hatte eine gegenteilige Haltung vertreten, und Merkel präzisierte in einem Wortlaut, den man später so von der Kanzlerin Merkel nicht mehr hören würde: Es sei «unverantwortlich, den Einsatz militärischer Gewalt als das letzte Mittel kategorisch auszuschließen». 50 An diesem Satz lässt sich Angela Merkels Kunst der sehr allgemeinen Aussage zu einem sehr konkreten und aktuellen Thema studieren: Sie nimmt Stellung zu einer fingierten Behauptung, um die es gar nicht geht. Es ist kein Gegenüber sichtbar, das empfohlen hat, militärische Gewalt kategorisch auszuschließen – zumal wenn sie das letzte Mittel ist.
    Die Kanzlerin nimmt scheinbar Stellung zum konkreten Fall Intervention der USA in den Irak. Sie sagt aber etwas viel Allgemeineres, sozusagen eine Binsenweisheit, die jeder Zuhörer bestätigen würde. Die Merkelsche Kunst besteht in der Scheinverbindlichkeit einer Aussage, mit der sie sich zum anstehenden Dissens im Grunde gar nicht äußert. Niemand wird sie, irgendwann einmal, auf diese Aussage festnageln können. Und sie behält recht: Schon bald wird sie mit einem neuen Präsidentender USA Kontakte pflegen müssen, in denen eine verbindliche Aussage zu Bushs Interventionsentscheidung stören würde. ‹An der Seite Amerikas›, wie sie in gezielter Ungenauigkeit gesagt hat, sieht auch Obama Deutschland gern.
    Die Regentschaft der Angela Merkel ist von zunehmender Virtuosität in «schwimmenden» Statements geprägt. Dutzende vager Aussagen, die niemanden beunruhigen und keine Gegenrede wert sind, machen die Auftritte der Kanzlerin auch für die Journalisten immer wieder zum Déjàvu im Kammerton: Hat sie das nicht schon in der letzten Pressekonferenz gesagt? In Brüssel, in Paris? Sie will nicht überraschen – außer wenn es um Erwartungen der Finanz- und Politgemeinde zum unwahrscheinlichen Versandbeschluss für das nächste Europaket wohin auch immer geht.
    Genau diese Kammertonlage hat zu dem Eindruck beigetragen, die Chefin aus Deutschland habe das Zeug für eine Königin Europas: Sie liefert eine Spielart von Scheinbeständigkeit an das Publikum, während das Bühnendach längst Feuer gefangen hat. Ihre vielfache Erfahrung ist: Man kann

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