Die Patin
ihr mir glauben. Aber sie war die einzige der Bewerberinnen, die einen Führerschein hat und fließend deutsch spricht. Wenn man Kölsch denn deutsch nennen kann. Sie fängt morgen an, drückt mir die Daumen, dass wir sie behalten können.
Sabine
P S. Das mit der armen Mimi Pfaff tut mir auch schrecklich Leid. Wenn du ihr die Blumen bringst, komme ich gerne mit, Frauke. Sie ist eine alte Freundin von mir
Nellys absolut streng geheimes Tagebuch
24. Juni
Lara, das umprogrammierte Biest, knutscht mitten auf dem Schulhof total ungehemmt mit Moritz herum. Mit dem Moritz, in den ich bis vorgestern noch unsterblich verliebt war! »Du, das macht mich ja selber total fertig«, hat Lara gesagt. »Aber so ist wenigstens einer von uns beiden glücklich.« Okay, wenn sie das unter Freundschaft versteht, bitte! Ich habe genau gesehen, wie Moritz in der Nase gebohrt hat und den Popel anschließend unter seinem Pult abgeschmiert hat. Mit derselben Hand ist er in der großen Pause unter Laras T-Shirt gewesen. Geschieht ihr ganz recht. Seit der Nasenbohrattacke bin ich definitiv nicht mehr in Moritz verknallt. Und wenn ich sehe, wie tief er seine Zunge in Laras Hals schiebt, muss ich fast kotzen, ehrlich. Aber das werde ich Lara dem Biest nicht verraten. Solange sie nämlich denkt, sie habe mir das Herz gebrochen, ist sie ja soooo nett zu mir. Ich durfte mir sogar ihr kostbares rosa Stricktop borgen. Mit meinem Rosenblüten-Wonderbra drunter sehe ich ziemlich gut darin aus, besser als das Biest. Ich musste das Top allerdings unter einem Pulli aus dem Haus schmuggeln, weil Mama meinte, es sei zu durchsichtig. Als ich den Pulli an der Haltestelle auszog, kam ausgerechnet dieser Angeber Kevin Klose mit seinem Skateboard angefahren. Er glotzte mir in den Ausschnitt, pfiff durch seine Zähne und sagte: »Wow, dir sind wohl über Nacht Titten gewachsen, was, Nele?« Was für ein Arschloch! Kann sich nicht mal meinen Namen merken, aber sieht sofort, wenn ich einen Wonderbra anhabe. Außerdem hasse ich Menschen, die »Titten« sagen. Das klingt so nach wabberigen, großen Teilen mit Milch drin. Morgen werde ich »hi Calvin« zu ihm sagen.
3.
Ich hatte vor vielen Dingen Angst: vor Hornissen in Limobechern, vor Straßenbahnkontrolleuren, vor einem Tsunami, der Pellworm wegspült, vor bösen Onkels, die meinen Kindern etwas antun könnten, und vor Zecken, die gefährliche Krankheiten übertragen. Ich hatte Angst davor, Alzheimer zu haben, wenn ich nicht sofort auf den Namen meiner Kinder kam oder Dinge sagte wie »Hol bitte mal die Milch aus der Waschmaschine«. Ich hatte Angst vor unseren Nachbarn, den dicken Hempels, und Angst vor dem Briefträger, wenn er wieder mal Post von Hempels Anwalt brachte. Ich hatte Angst davor, das Haus zu verlassen, denn wenn mir etwas zustieße, was sollten die Kinder dann ohne mich anfangen? Ich hatte Angst vor Spinnen, Meteoriteneinschlägen, Fuchsbandwürmern und Mördern, die hinterm Duschvorhang mit einem Messer lauerten. Und das ist noch lange nicht alles. Natürlich behielt ich diese Ängste für mich, schon, um nicht in eine geschlossene Anstalt eingewiesen zu werden, und es wäre ein ziemlich armseliges Leben gewesen, wenn ich tatsächlich das Haus nicht mehr verlassen hätte. »Suche die Angst« heißt das russische Sprichwort, an das ich mich täglich hielt: Ich duschte, öffnete meine Post, grüßte die Nachbarn und fing Spinnen mit der bloßen Hand. Und was die Meteoriteneinschläge angeht, so hoffte ich einfach auf das Beste. Alles in allem kann man durchaus sagen, dass ich mich meinen Ängsten stellte. Außer bei Hunden.
Hier erlaubte ich mir, die Straßenseite zu wechseln, wenn ich einen sah. Aber fatalerweise merken Hunde ja, wer vor ihnen Angst hat, und das war vermutlich auch der Grund, warum siestets beschlossen, mich zu schikanieren und auch die Straßenseite zu wechseln.
Natürlich hatte ich nicht vor allen Hunden Angst. Wenn sie nicht größer waren als ein Kaninchen, oder, noch besser, angeleint daherkamen, brach mir kaum der Angstschweiß aus. Und auch bei so harmlosen, treudoofen Viechern wie unserem Dackel Elmar zu Hause auf Pellworm blieb ich ganz ruhig. Aber Pittbullterrier, Doggen und andere sabbernde Monster mit breiten Brustkörben und Haifischschnappkiefern machten mir auch an der Leine Angst, sogar wenn sie einen Maulkorb trugen, was sie laut Gesetz tun mussten, aber meistens nicht taten. (Wenn es nach mir ginge, müssten auch die Besitzer an der Leine geführt werden
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