Die Patin
unfreundlich zu. »Hol gefälligst mal deinen Hund da weg, ja?«
»Das ist nicht meiner«, sagte das kleine Mädchen weinerlich. Sie war höchstens sechs. »Und der da auch nicht.«
Im Gebüsch war ein zweiter Hund aufgetaucht, dem Aussehen nach ein Zwillingsbruder des ersten. Auch er musterte uns reglos.
»Heilige Mutter Gottes, bitte steh uns bei«, sagte Anne und bekreuzigte sich. Ich hatte gar nicht gewusst, dass sie katholisch war.
»Ich will noch nicht sterben«, sagte Nelly.
Moment mal, hier lief ja wohl was falsch! Das war mein Part, hier die Nerven zu verlieren. Ich war schließlich diejenige mit der Hundephobie. Aber Anne und Nelly sahen nicht so aus, als würden sie darauf Rücksicht nehmen.
»Mami, tu doch was«, sagte Nelly.
»Okay«, sagte ich in meinem allerbesten James-Bond-Tonfall. »Holen wir das Pfefferspray raus und entfernen uns rückwärts. Aber langsam. Und guckt ihnen immer in die Augen, okay? Wir sind die Alphatiere. Ihr dürft auch knurren, wenn ihr könnt. Komm mit, Kleine, komm schon.«
Das Mädchen rutschte von der Schaukel. »Ich will zu meinem Papa«, sagte es.
»Ich habe kein Pfefferspray dabei«, sagte Anne. »Heilige Mutter Gottes vergib mir meine Sünden ...«
»Ich auch nicht«, sagte Nelly. »Ich hab so was gar nicht.«
»Ich auch nicht«, sagte ich. »Na toll.«
Die Hunde grinsten überlegen.
»Ich will zu meinem Papa«, sagte das Mädchen.
»Wir gehen ja zu deinem Papa«, sagte ich, ohne die grinsenden Hunde aus den Augen zu lassen. Das kleine Mädchen klammerte sich an meinen linken Arm, Nelly an meinen rechten. Anne klammerte sich an Nelly fest. Aneinander geklammert und knurrend machten wir ein paar Schritte rückwärts. Fehlte nur noch, dass wir alle zusammen in eine Pfütze fielen und jemand aus dem Gebüsch sprang und rief: »Verstehen Sie Spaß?«.
»Die sehen so hungrig aus«, sagte Anne.
»Hoffentlich sind sie gegen Tollwut geimpft«, sagte Nelly. »Ich habe mal im Fernsehen einen Bericht gesehen, da haben sie gesagt, dass man ihnen in die Schnauze packen und die Zunge festhalten soll. Meinst du, das kriegst du hin, Mama?«
»Klar doch, mit jeder Hand eine Zunge«, sagte ich. »Ich war schließlich mal beim Zirkus. Und wozu braucht man auch seine Hände? Bin ja kein Pianist oder so.«
»Iiiih, wie soll man denn so etwas Glitschiges festhalten«, sagte Anne.
»Das sind aber keine netten Hunde«, sagte das kleine Mädchen.
Als ob die Hunde das verstanden hätten, setzten sie sich in Bewegung. Anne quiekte laut auf vor Schreck. Nelly keuchte nur. Ohne uns aus den Augen zu lassen, strebten die Tiere in einer perfekten V-Formation auseinander. Ich hatte das schon einmal gesehen: im Fernsehen bei einer Dokumentation darüber, wie Löwen Zebras jagen. Ich reagierte in Bruchteilen von Sekunden. Noch bevor die beiden Löwen, pardon, Hundeviecher in ihren Angriffsgalopp verfallen waren, riss ich meine Schützlinge herum und schrie: »Rennt um euer Leben! Los, da vorne auf den Baum, alle Mann!«
Und wir rannten so schnell wir konnten zu einem stattlichen Kirschbaum wenige Meter hinter uns. Nelly kletterte zuerst hinauf, dann hob ich das kleine Mädchen auf einen Ast und hievte mich selbst hinterher.
»Ich bin nicht schwindelfrei«, stöhnte Anne. »Ich hasse Klettern!« Nelly und ich griffen nach ihren Händen. Die beiden Bestien kamen herangestürmt und schnappten nach Annes Beinen.
Anne kreischte in den höchsten Tönen und versuchte, sich panisch strampelnd hochzuziehen. Das fremde Mädchen fing an zu weinen.
Mit vereinten Kräften und einem gewaltigen Ruck zerrten Nelly und ich Anne nach oben. (Ich kugelte mir dabei beinahe meine Schulter aus, aber das merkte ich erst Stunden später, als das Adrenalin sich wieder verzogen hatte.) Ein Turnschuh und Teile von Annes Jogginghose blieben in den Fängen der Hunde zurück.
»Ist mein Bein noch dran?«, fragte Anne.
»Tut dir denn irgendwas weh?«, fragte ich zurück und suchte vergeblich nach einer Bissstelle.
»Eigentlich nicht«, sagte Anne und machte ein überraschtes Gesicht. »Sie haben tatsächlich nur meine Hose und den Schuh getötet.«
Aber das reichte den beiden Viechern offenbar nicht. Sie sahen geifernd zu uns hoch. Man konnte ihren stinkenden Atem riechen. Na ja, möglicherweise war es auch ein Gulli in der Nähe, der so stank.
Die Hunde knurrten böse. Aus der Nähe sahen sie noch gefährlicher aus mit ihren blutunterlaufenen Augen. Wie gut, dass ich so schnell und beherzt reagiert hatte!
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