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Die Patin

Titel: Die Patin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Obst im Garten?«
    »Hey, Calvin«, erwiderte Nelly. »Kuschelige Haustiere hast du da. Lass mich raten, zu Hause habt ihr sicher noch eine kleine Boa constrictor, stimmt's?«
    »Nein, nur eine Vogelspinne«, sagte Calvin oder wie immer der Junge hieß. Er war ziemlich hübsch, hatte kurz geschorene, helle Haare und leicht schräg stehende grüne Augen. Sein rechtes Ohr war durch eine Reihe kleiner Silberstecker in Form von Totenköpfen entstellt, auf seinen Oberarmen spuckten Tattoo-Drachen Feuer. »Sie gehört meiner kleinen Schwester und haut öfters mal ab. Also nicht wundern, wenn ihr mal so ein großes, haariges Vieh in eurem Garten findet. Klettert übrigens auch gerne auf Bäume.«
    »Ich will zu meinem Papa«, sagte das kleine Mädchen.
    »Daran arbeiten wir gerade«, sagte ich.
    »Sag mal, bist du taub!«, schnauzte Anne den Jungen an.
    »Sie wissen schon, dass man Ihren halben Hintern sehen kann, oder?«, gab er freundlich zurück.
    »Du fühlst dich wohl sehr mächtig mit deinen beiden Bluthunden an der Seite, Freundchen!« Anne funkelte ihn wütend an. »Du nimmst die Viecher jetzt sofort an die Leine, oder es passiert was!«
    »Was denn?«, fragte er interessiert. Er war wirklich der dreisteste kleine Scheißer, der mir seit langem begegnet war. Und dummerweise saß er eindeutig am längeren Hebel.
    Ich sah uns schon bis Weihnachten auf diesem Kirschbaum sitzen.
    »Na ja, die Sache sieht so aus, Kleiner«, sagte ich mit meiner James-Bond-Stimme. »Bevor du hier unerwartet aufgetaucht bist, haben wir per Handy bereits mitgeteilt, dass Hannibal Lecter es auf uns abgesehen hat. Es werden also jeden Moment die Männer vom städtischen Ordnungsamt auf dem Plan erscheinen. Ich kenne ihre Gepflogenheiten natürlich nicht genau, also weiß ich nicht, ob sie nur das Betäubungsgewehr verwenden oder - weil hier ja auch Kinder in Gefahr sind - sofort den finalen Todesschuss setzen werden.«
    »Ich habe gehört, dass sie die Hunde manchmal direkt vor Ort kastrieren«, sagte Anne.
    »Die Hunde und die Halter«, ergänzte Nelly. »In so schlimmen Fallen wie diesem hier.«
    Endlich konnte ich einen winzigen Funken Unsicherheit in der Miene des Jungen entdecken.
    »Die tun doch keiner Fliege was zu Leide«, sagte er. »Das ist echt lächerlich. Die sind so harmlos, die schlafen bei uns zu Hause sogar mit im Babybett. Mit dem Baby.«
    »Wie süß«, sagte ich. Im Babybett, dass ich nicht lachte! Da passte ja nicht mal ein halber Hund hinein. »Na ja, wir sehen ja gleich, wie niedlich sie aussehen, wenn sie schlafen. So eine Betäubungsspritze wirkt in Sekundenschnelle.«
    »Die sind wirklich absolut harmlos. Oder ist hier vielleicht irgendjemand verletzt?«
    »Nur die Hose und ein Turnschuh«, sagte ich. »Die durchbluteten Teile konnten wir rechtzeitig auf dem Baum in Sicherheit bringen.«
    »Na also«, sagte der Junge.
    »Na klar, die wollten nur spielen, die süßen kleinenSabbermäulchen«, höhnte Anne. »Ach, ich glaube, da höre ich schon das Auto vom Tierfanger ...«
    »Schon gut«, sagte der Junge und legte den Hunden eine Leine an. »Kommt, Hannibal und Lecter, wir gehen nach Hause. Die Leute in dieser Gegend sind offenbar nicht besonders tierlieb.« Er schaute noch einmal hoch zu uns. »Auch wenn sie ziemlich geile Ärsche haben.«
    »Oh vielen Dank, das hört man gern«, sagte ich, und Nelly spuckte noch einen Kirschkern nach ihm.
    »Bis morgen dann, Nele«, sagte der Junge mit einem letzten frechen Grinsen. Wir warteten, bis er mit Hannibal Lecter durch die Absperrung verschwunden war. Wir kletterten mit weichen Knien vom Baum herab, zuerst Anne, dann ich, dann Nelly. Zuletzt hob ich das kleine Mädchen vom Ast.
    »So, und wo wohnt jetzt dein Papa?«, fragte ich freundlich.
    »In der neuen Wohnung«, sagte das Mädchen.
    »Und die ist wo?«
    »In dem roten Haus«, sagte das Mädchen.
    »Na, super«, sagte Anne. »Davon gibt es hier in der Siedlung ja nur hundert Stück. Es wird mir eine Freude sein, sie alle mit nur einem Schuh und einer halben Hose abzuklappern.«
    »Wenigstens waren die Kirschen lecker«, sagte Nelly.
     
    *
     
    Anne zog sich zu Hause um, während Nelly und ich Max, Laura-Kristin und den beiden Kleinen unser Abenteuer in den glühendsten Farben schilderten und zum Beweis abwechselnd Annes brutal zerkauten Turnschuh und die Reste ihrer Hose hochhielten.
    Unsere Zuhörer waren angemessen beeindruckt, besonders Julius und Jasper.
    »Mich hätten sie bestimmt erwischt«, sagte Laura-Kristin

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