Die Patin
aus Schweigen der Lämmer!«, fragte der Hüne, nun vollends verwirrt.
»Wir haben Joanne auf dem Spielplatz getroffen«, erklärte ich. »Am anderen Ende der Siedlung. Sie wurde dort von zwei Kampfhunden angegriffen, und ich nehme an, es war in Ihrem Interesse, dass wir sie mitgenommen haben. Sie wollte zu ihrem Papa.«
»Wo war denn ihre Mutter?«, fragte der Hüne.
»Vielleicht sehen Sie mal oben in Ihrer Wohnung nach«, schlug Anne etwas ungeduldig vor.
»Was? Oh, nein, Bianca und ich sind getrennt«, sagte der Hüne. »Joanne lebt bei ihrer Mutter. Ich darf sie nur am Wochenende sehen.«
»Ich will aber bei dir bleiben«, heulte Joanne.
Ihr Vater sah aus, als würde er auch gleich heulen. Er drückteJoanne feste an sich, dann setzte er sie ab und sagte: »Geh schon mal hoch in die Wohnung, Schätzchen, ich komme sofort nach.«
Joanne schenkte uns zum Abschied ein Lächeln. Wir lächelten zurück.
»Ich muss ihre Mutter anrufen«, sagte der Hüne zähneknirschend. »Sicher hat sie sie schon als vermisst gemeldet und wird mich wegen Kindesentführung verklagen.«
»Also, da war aber weit und breit niemand zu sehen«, sagte Anne. »Joanne war ganz allein im Park. Und die Hunde natürlich. Und wir. Wir mussten auf einen Baum klettern, sonst wären wir gefressen worden. Ich bin übrigens Anne.«
Der Hüne setzte einen finsteren Blick auf. »Das ist doch wieder mal typisch. Sie lassen das Kind ständig unbeaufsichtigt. Äh, ich bin Jo. Von Joseph.«
»Constanze«, sagte ich und streckte ihm meine Hand hin. »Und das sind Max, Nelly, Laura-Kristin, Jasper und Julius. Unsere Kinder. Mehr oder weniger. Ähm, egal, sehr erfreut, Jo, und herzlich willkommen in der Insektensiedlung.«
Jo sah alles andere als erfreut aus. Er übersah auch meine Hand. »Sie verliert sie, seit sie auf der Welt ist«, schimpfte er. »Schon im Kinderwagen hat sie sie ständig irgendwo vergessen. Ich kann einfach nicht verstehen, wie diese Person das Sorgerecht bekommen konnte. Verstehen Sie das?«
Wir schüttelten einhellig die Köpfe, selbst Jasper und Julius.
»Mal ehrlich«, fuhr Jo fort. »Sehe ich dämlich aus?«
Wir schüttelten wieder die Köpfe, nur Nelly zuckte mit den Schultern und murmelte: »Ein bisschen vielleicht.«
»Aber ich bin dämlich«, rief Jo. »Und diese Frau hat das vollkommen ausgenutzt. Ich meine, ich habe sie auf Händen getragen.«
»Das muss ein Mann sagen«, raunte Anne zu Nelly hinüber. »Ich trage dich auf Händen, nicht: Unterschreib hier. Merk dir das.«
»Ich habe Nachhilfestunden gegeben, damit sie ihren Audi TT fahren konnte«, ließ uns Jo wissen. »Ich bin nämlich Lehrer, wissen Sie. Nach Schulschluss habe ich auf der Baustelleunseres Einfamilienhauses geschuftet. Ich habe gemauert und gefliest und meine Eltern um ein zusätzliches Darlehen angebettelt, damit wir uns Biancas Extrawünsche leisten konnten. Als das Haus fertig war, hat sie die Scheidung eingereicht. Jetzt lebt sie mit ihrem Liebhaber und meiner Tochter in meinem Haus und badet in meinem Whirlpool mit vergoldeten Armaturen, und ich hause in einer Einzimmerwohnung! Ich trage jetzt morgens vor dem Unterricht noch Zeitungen aus, um den Kredit abbezahlen zu können. Ich habe sogar mein Auto verkauft. Ist das gerecht?«
»Auf keinen Fall«, sagte ich. »Wenn Sie wollen, schreibe ich Ihnen die Telefonnummer meines Anwalts auf Er ist ein Experte in Sachen Familienrecht.«
»Und wovon soll ich ihn bezahlen?«, rief Jo. »Erst neulich habe ich Bianca Geld gegeben, das ich eigentlich gar nicht hatte. Für eine Kinderschaukel für den Garten. Wissen Sie, was sie mit dem Geld gemacht hat?«
»Sie hat den Audi TT tiefer legen lassen?«, mutmaßte Max.
»Sie hat sich die Lippen mit Körperfett aus ihrem eigenen Hintern unterspritzen lassen?«, sagte Nelly.
Jo schaute überrascht drein. Offenbar hatten die Kinder den Charakter seiner Ex schon ziemlich genau erfasst. »Botox!«, sagte er. »Sie hat sich die Krähenfüße mit Botox wegspritzen lassen. Statt eine Schaukel für ihre Tochter zu kaufen! Das muss man sich mal vorstellen!«
Ich vermutete stark, dass der arme Mann sonst niemanden hatte, dem er mal sein Herz ausschütten konnte. »Wie gesagt, Anton ist ein hervorragender Anwalt«, sagte ich.
»Wie gesagt, ich habe kein Geld«, erwiderte Jo. »Und der Richter war der Ansicht, dass Joanne bei ihrer Mutter besser aufgehoben ist. Sie geht schließlich nicht arbeiten und hat den ganzen Tag Zeit, das Kind zu vernachlässigen.
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