Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Patin

Titel: Die Patin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
Vom Netzwerk:
Ich war wirklich stolz auf mich. Vielleicht würde die Zeitung einen Artikel über mich bringen: Patin der Mütter-Mafia rettete drei Menschen vor dem sicheren Tod. Ich kletterte noch eine Astgabelung höher, bevor ich triumphierend sagte: »Das seid ihr nicht gewohnt, was? Zebras, die auf Bäume klettern!«
    »Ich will zu meinem Papa«, jammerte das kleine Mädchen.
    »Ich auch«, sagte Nelly. Sie pflückte sich eine Kirsche und spuckte den Kirschkern zu den Hunden hinunter. »Lecker. Wenigstens verhungern wir hier nicht. Hier, Kleine, probier mal.«
    »Bilde ich mir das nur ein, oder schwankt der Baum wirklich?«, fragte Anne.
    Die Hunde knurrten.
    »Haltet euch bloß gut fest«, sagte ich.
    »Hiiiilfe!«, schrie Anne. Einer der Hunde machte aus dem Stand einen Versuch, nach Annes anderem Schuh zu schnappen. Er konnte verdammt hoch springen. Möglicherweise versteckte sich auch noch ein Känguru irgendwo in seiner Ahnenreihe. Anne kletterte zitternd zu mir in die Astgabel.
    »Sieht ein bisschen morsch aus, oder?«, murmelte sie. »Los, lasst uns alle zusammen um Hilfe rufen. Irgendjemand muss uns doch hören.«
    »Hilfe«, brüllte Anne ganz allein. Nelly und ich waren noch nicht so weit.
    Nichts rührte sich. Die Grünanlage lag weiter wie ausgestorben da. Wo waren all die Rentner mit Schirmen und Spazierstöcken? Wo die Hundebesitzer, die um diese Zeit sonst immer ihren Waldi und Brutus in den Sandkasten kacken ließen? Wo die rauchenden Halbstarken mit ihren frisierten Mofas, die »Ey, Alte, was glotzte denn so blöd« riefen, wenn man an ihnen vorbeikam? Wo waren sie alle, wenn man sie wirklich mal brauchte?
    Dann aber hatte ich einen Geistesblitz. »Hast du dein Handy dabei, Nelly?«, fragte ich.
    »Ja, natürlich«, sagte Nelly und schlug sich gegen die Stirn. »Soll ich RTL anrufen?«
    »Nein«, sagte ich. »Die Feuerwehr.«
    »Im Ernst?«
    »Es reicht, wenn du Max anrufst«, sagte Anne. »Oder bin ich hier die Einzige, der es peinlich ist, auf einem Baum von der Feuerwehr gerettet zu werden?«
    »Ja, weil wir anderen unsere Hosen noch anhaben«, sagte Nelly und kicherte. Irgendwie schien ihr unser Abenteuer Spaß zu machen.
    »Was soll der arme Max denn tun?«, fragte ich. »Die Hunde mit den bloßen Fäusten erlegen?« Außerdem passte er zu Hause auf Julius und Jasper auf und war damit unabkömmlich.
    »Er kann ja Laura-Kristin mitbringen, vielleicht schläfert sie die Tiere ja mit dem Keyboard ein«, sagte Nelly. »Ich rufe besser Papa an.«
    Ich verdrehte die Augen. »Und was soll der tun? Die Hunde vor Gericht zerren? Nein, die Feuerwehr ist genau die richtige Adresse. Ruf schon an.«
    Meine Tochter schickte erst mal in aller Seelenruhe eine SMS an Lara. »Werden von Kampfhunden gejagt. In diesen letzten Minuten meines Lebens verzeihe ich dir wegen M. Ich hinterlasse dir meine Engelsammlung und die rosa Caprihose von »Miss Sixty««, las sie laut vor.
    »Na toll, jetzt wird Lara hoffen, dass du gefressen wirst«, sagte ich.
    »Hannibal! Lecter!«, rief jemand. Die Hunde wandten zum ersten Mal ihren Bluthundblick von uns und drehten sich um. Ein Junge, ungefähr fünfzehn, war mit einem Skateboard durch die Absperrung gekommen.
    »Oh nein!«, stöhnte Nelly. »Nicht der schon wieder!« Ihre Wangen hatten einen tiefen Rosa-Ton angenommen.
    Die Hunde liefen auf den Jungen zu und wedelten mit ihren Hinterteilen. Nicht, dass sie deshalb irgendwie harmloser wirkten. Nur einer von ihnen hatte überhaupt eine Art Schwanz, der andere nur einen haarigen Stummel. Hannibal und Lecter leckten dem Jungen die Hände. Igitt.
    Neben mir explodierte Anne vor Wut: »Wenn das deine Viecher sind, mein Freundchen, dann nimm sie gefälligst sofort an die Leine und leg ihnen einen Maulkorb an. Denn wenn ich hier herunterkomme, möchte ich dich in aller Ruhe vermöbeln können.Und deine Eltern nehme ich mir gleich anschließend vor! Wie absolut unverantwortlich, solche Killermaschinen frei herumlaufen zu lassen. Ich wette, die haben nicht mal 'ne Hundemarke.«
    Der Junge tätschelte den Killermaschinen den kräftigen Rücken und grinste zu uns hinauf. »Guten Abend erst mal«, sagte er. »Sind die Kirschen schon reif?«
    Es handelte sich bei diesem Jungen ganz offensichtlich um ein besonders freches Exemplar der Sorte homo sapiens adoleszensissimus.
    Nelly spuckte ihm einen Kirschkern auf den Kopf.
    »Hey, Nele«, sagte der Junge, ohne sein Grinsen einzustellen. »So hoch oben? Sportlich, sportlich. Aber habt ihr kein eigenes

Weitere Kostenlose Bücher