Die Peitschenbrüder
hören?
Mythor verscheuchte die Gedanken und verließ das Gasthaus. Die Häuser auf der gegenüberliegenden Seite des Marktplatzes waren inzwischen völlig niedergebrannt. Dunkelrote Glut breitete sich von dort aus. Es ging kein Wind, so dass das Feuer nicht auf andere Gebäude übergegriffen hatte.
Goltan hatte davon gesprochen, dass die Bande sich Reittiere besorgen und den Königspalast plündern wolle, dessen Türme Mythor im Westen der Stadt gesehen hatte. Es war nun die Frage, ob sie ihr Vorhaben noch immer in die Tat umsetzen oder zusehen würden, dass sie Lockwergen so schnell wie möglich hinter sich brachten. Auf jeden Fall brauchte Mythor selbst ein Reittier, um bei der Verfolgung schneller voranzukommen. Und das fand er weder in der Stadt selbst noch im Palast.
Ihm blieb nichts anderes übrig, als mühsam die Spur der Bande zu verfolgen. Ihr Stützpunkt konnte im Süden sowohl wie im Norden liegen. Die Berge im Norden, die Mythor gestern von einem hohen Gebäude aus gesehen hatte, waren für ihre Zwecke sicher besser geeignet. Aber bloße Spekulationen führten zu nichts.
Er begann mit der Suche. Er hatte gesehen, in welche Richtung die Plünderer geflohen waren. Doch noch bevor er die entsprechende Straße erreichte, geschah etwas, mit dem er am allerwenigsten gerechnet hatte.
Wie aus dem Nichts erschien plötzlich das kleine magere Mädchen aus dem Haus am Hafen vor ihm. Sie sah ihn an, mit dem gleichen weltentrückten Blick wie zuvor. Doch jetzt hatte er zumindest das Gefühl, dass sie ihn wahrnahm. Er schritt auf sie zu und ging vor ihr in die Hocke.
»Geh zurück in dein Haus«, sagte er, ihren Blick suchend, der nun auf die Häuserruinen gerichtet war. »Hörst du mich?«
Sie antwortete nicht. Nichts verriet, ob sie seine Worte verstand oder überhaupt hörte.
Mythor schüttelte ärgerlich den Kopf. Er hatte keine Zeit, sich mit ihr abzugeben. Aber warum war sie hierhergekommen? Durch den Lärm angelockt?
Wieder schüttelte er sie und wieder ohne Ergebnis.
Er richtete sich auf. Hier gab es nichts, was ihr gefährlich werden konnte. Vielleicht suchte sie unbewusst nach ihren verschwundenen Eltern. Er konnte ihr dabei nicht helfen.
Mythor wandte sich zum Gehen. Er hatte erst einige Schritte gemacht, als er feststellen musste, dass das Mädchen ihm folgte. Verärgert rief er: »Geh zurück! Ich kann dich nicht brauchen!«
Sie wartete, bis er weiterging, dann folgte sie ihm, immer in einem gewissen Abstand.
Mythor seufzte. Er konnte sie nicht festbinden. Mit der Zeit würde sie müde werden.
Er ging weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Die Straße hatte keine Abzweigungen. So wie sie verliefen ein halbes Dutzend andere sternförmig zum Marktplatz.
Die Dunkelheit erschwerte die Suche nach Spuren, als Mythor einen der vielen Parks Lockwergens erreichte. Hier hörte die Straße auf. Andere führten in verschiedene Richtungen.
Immer wieder anhaltend und sich bückend, überquerte Mythor die Grünfläche. Er sah die tiefen Eindrücke von gestiefelten Füßen. Die nächste Straße. Es hatte tatsächlich den Anschein, als hätten die Banditen Lockwergen auf geradem Weg in nördlicher Richtung verlassen.
Das Mädchen war immer noch hinter Mythor.
Auf dem Pflaster liegende Lederbeutel, Schnüre, leere Wasserschläuche und Stofffetzen wiesen ihm den Weg bis in die Außenbezirke. Immer wieder kleine blaue Stofffetzen. Irgendwie musste es Kalathee gelungen sein, von ihren Entführern unbemerkt winzige Stücke aus ihrem Kleid zu reißen und fallen zu lassen. Also lebte sie noch.
Mythor dachte wieder an Nottr, doch bisher deutete nichts darauf hin, dass der Barbar aus den Wildländern ebenfalls in Gefangenschaft geraten war.
Als die letzten Gebäude der Stadt hinter Mythor lagen, begann es im Osten zu dämmern. Vor seinen Augen erstreckte sich hügeliges Gelände. Im weichen Boden waren jetzt wieder die Spuren der Banditen zu sehen, und der Feuerschein hinter einem der nächstgelegenen Hügel nahm Mythor endgültig alle Zweifel an ihrem Ziel.
Nach Norden! dachte er grimmig. Und damit immer weiter weg von Althars Wolkenhort.
Das Mädchen stand hinter ihm und sah ihn blicklos an.
»Nun verschwinde endlich!« schrie Mythor sie an. Sofort verfluchte er seine Heftigkeit. »Du kannst doch nicht mitkommen«, versuchte er es in geduldigem Tonfall. »Du musst in der Stadt bleiben. Die Wildnis hier draußen ist nichts für dich!«
Das Mädchen machte zur Antwort einen weiteren Schritt auf ihn zu,
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