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Die Peitschenbrüder

Die Peitschenbrüder

Titel: Die Peitschenbrüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Hoffmann
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zaghaft, als wolle es brüchiges Eis betreten. Aber sie dachte offensichtlich nicht daran, auf ihn zu hören.
    »Dann komm!« murmelte er kopfschüttelnd. »Du hast mir gerade noch zu meinem Glück gefehlt. Wir haben beide keinen Menschen mehr, ja? Spürst du das? Willst du deshalb mit mir kommen?«
    Von plötzlichem Mitleid gepackt, nahm Mythor das Kind auf seine Schultern. Irgendwo, so hoffte er, würde er vielleicht ein paar Bauern oder Dorfbewohner finden, die die Kleine aufnahmen. Nur durfte es nicht mehr zu lange dauern. Er, der rennen sollte, marschierte nun mit dem Kind nach Norden, in jene Richtung, aus der der Rauch kam.
    *
    Als Mythor den Bauernhof erreichte, sah er nur noch nachglühende Ruinen. Alle Ställe waren abgebrannt. Die beiden Wohnhäuser aus Stein und Lehm waren hässliche schwarze Skelette. Mythor setzte das Mädchen am Fuß des Hügels ab und schärfte ihm ein, hierzubleiben, bis er zurückkäme. Wider Erwarten gehorchte sie.
    Kühe und Schafe hatten sich weit über die angrenzenden Felder verteilt. Mythor näherte sich vorsichtig mit der Klinge in der Faust den Ruinen. Hier gab es Tiere, und hier hatte es Menschen gegeben. Mythor fragte sich, wo die unsichtbare Grenze verlief, jenseits deren alles Leben verschwunden war.
    Er drang in eines der Gebäude ein, als er leises Stöhnen hörte. Nach kurzer Suche fand er einen alten Mann neben der verkohlten Leiche einer Frau. Der Alte hatte eine Wunde in der Hüfte. Seine Stoffkleidung war mit Blut getränkt und klebte an seinem Körper. Offensichtlich war es ihm gelungen, den Flammen zu entkommen, und erst vor kurzem hatte er das Gebäude wieder betreten. Aus seinen Augen sprach blankes Entsetzen, und er wich in panischer Angst zurück, als er Mythor plötzlich vor sich stehen sah.
    Das Grauen, das er hilflos miterleben musste, hatte ihn halb wahnsinnig gemacht. Er kroch auf dem Rücken in eine Ecke, den Blick starr auf Mythor gerichtet. »Geh fort!« röchelte er. »Geh! Ihr habt uns doch alles genommen! Geh oder töte mich wie.«
    »Sei still.« Mythor kniete sich neben den Mann und untersuchte behutsam die Wunde, die weniger schlimm war, als sie aussah.
    Der Alte wehrte sich nicht. Aus großen, leeren Augen verfolgte er, was Mythor mit ihm tat. Allmählich begann er zu begreifen, dass er nicht zu den Plünderern gehörte, die seinen Hof niedergebrannt und das Leben seiner Frau und vielleicht weiterer Menschen auf dem Gewissen hatten. Jetzt kam zum erstenmal etwas wie Leben in seinen Blick. Er starrte Mythor immer noch an, doch das Entsetzen und die Furcht waren abergläubischer Scheu gewichen.
    »Du bist.«, begann er zu stammeln, und der Blick des Alten ähnelte jetzt jenem, mit dem Nyala von Elvinon Mythor bei ihrer ersten Begegnung angesehen hatte. »Du bist nicht wie sie. Du. du bist nicht von hier. Du bist. das Licht.«
    Mythor zuckte zusammen. Er sah dem Alten in die Augen. Redete er wirr, oder wusste er wahrhaftig um Dinge, die einem einfachen Bauern kaum zugänglich waren?
    »Sprich jetzt nicht«, sagte Mythor. »Ich muss die Wunde reinigen. Es wird schmerzen.«
    »Tu, was du tun musst«, flüsterte der Alte.
    »Lebt außer dir noch jemand?«
    »Sie sind geflohen, meine Söhne, die Knechte und die Mägde. Nur wir«, der Alte blickte hinüber zur verkohlten Leiche, »blieben zurück, als wir die Peitschen hörten.«
    Mythor sah sich um und fand ein Messer. Er lief aus dem Gebäude, um die Klinge in den noch glühenden Steinen zu erhitzen. Der alte Mann presste die Zähne aufeinander und gab keinen Laut von sich, als Mythor die Wunde ausbrannte.
    »Hattest du Reittiere?« fragte Mythor.
    »Ponys«, brachte der Alte heiser hervor. »Sie haben sie alle genommen. Es waren zweiundvierzig Tiere.«
    Zweiundvierzig Ponys, dachte Mythor. Alle Mitglieder der Bande waren also jetzt beritten. Durch die Beute, die sie mitschleppten, kamen sie langsamer vorwärts als ohne Ballast, aber immer noch viel schneller als ein Mann zu Fuß. Als ein Mann mit einem Kind.
    »Ich werde deine Frau bestatten«, sagte Mythor. »Kannst du aufstehen?«
    Der Alte nickte dankbar und ließ sich von Mythor auf die Beine helfen. Er musste unsagbare Schmerzen haben, und dennoch waren diese nichts gegen den Schmerz in seiner Brust. Tränen liefen die faltigen, eingefallenen Wangen herab.
    Ja, Goltan, dachte Mythor grimmig. Wir werden uns wiedersehen, und wenn ich dich auf der ganzen Insel suchen muss!
    Eine Stunde später war die Frau begraben. Mythor häufte schwere Steine

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