Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
eigenen törichten Eitelkeit. Die vielleicht einzige Möglichkeit, diese Bedeutung wiederzuerlangen, sah sie darin, ihre Versprechen gegenüber Cadvan, Nelac, Nerili und all jenen einzulösen, die Vertrauen in sie gesetzt hatten, das sie ihrem eigenen Empfinden nach so jämmerlich enttäuscht hatte.
Wenn ihr das Rätsel um ihre Elementarherkunft in den Sinn kam, schob sie es einfach als etwas beiseite, das sie nicht lösen konnte. Sie verstand ihr Verhältnis zu Ardina nicht; ihr war schleierhaft, weshalb die Elementarkönigin sie »Tochter« nannte, als wäre sie viel näher mit ihr verwandt als eine weitläufige Nachkommin. Ebenso wenig wusste sie, weshalb sie Kräfte besaß, über die andere Barden nicht verfügten. Sie verstand nicht, weshalb sie als so bedeutsam galt, als die Feuerlilie, die Vorhergesagte, die Ausersehene, und wie sie dies mit ihrem Gefühl in Einklang bringen sollte, dass sie in Wahrheit völlig unbedeutend war, ein winziges Menschlein, das in der riesigen, weiten Welt herumgewirbelt wurde, allein und kraftlos, nicht wichtiger als jeder andere und wertloser als die meisten. Mirka, dachte sie, hatte trotz all ihres Wahnsinns und ihres Kummers eine Art Frieden mit sich selbst geschlossen. Angesichts ihrer inneren Unruhe und Zweifel beneidete Maerad die alte Frau zutiefst; der einzige Friede, den sie selbst kannte, war die Gefühllosigkeit in ihrem Herzen. Mirkas Worten zufolge lag Murask sieben bis zehn Tagesmärsche von den Bergen entfernt. Maerad zählte sorgsam die Tage, beobachtete, wie der schmale Mond jede Nacht zunahm, und begann nach sieben Tagen, Ausschau nach Anzeichen für eine Siedlung zu halten. Die Arkiadera erstreckte sich endlos auf allen Seiten. Die riesige Gebirgskette des Osidh Elanor zeichnete sich nur noch als purpurne Schliere am Horizont ab und gab den einzigen Hinweis darauf, welche Entfernung sie bereits zurückgelegt hatte. Allmählich fing sie an, sich Sorgen über ihre Lebensmittelvorräte zu machen, die nur noch ein paar Tage reichen würden. Falls Mirka sich grob verschätzt hatte oder sie in die völlig falsche Richtung steuerte, würde sie bald in ernste Schwierigkeiten geraten.
Am zehnten Tag ihres Marsches sah Maerad endlich erste Anzeichen von anderen Menschen; in der Ferne erspähte sie gelegentlich eine Pilanel-Karawane oder einzelne Hirten mit Pferden. Hoffnungsvoll begann sie zu glauben, dass sie sich tatsächlich auf der richtigen Straße befand und sich nicht irgendwo auf den weiten Ebenen verirrt hatte.
Aus Vorsicht, aber auch aus Scheu blieb sie unsichtbar. Wäre sie unterwegs zu einer Schule gewesen, hätte sie vermutlich keine solche Unruhe empfunden. Nicht zum ersten Mal wünschte sie, nicht so unwissend zu sein. Häufig betastete sie das Symbol, das Mirka ihr gegeben hatte, und fragte sich, was es bedeuten mochte und ob es ihr helfen würde, wie die alte Frau versprochen hatte. Am dreizehnten Tag sah sie eine Rauchfahne vor sich aufsteigen und vermutete, dass sie sich endlich in der Nähe von Murask befand. Ermutigt beschleunigte sie die Schritte, und bei Einbruch der Dunkelheit konnte sie es deutlich erkennen: zwar noch ein paar Meilen entfernt, aber es handelte sich eindeutig um eine Siedlung mit zahlreichen Menschen, zumal der Rauch sich aus mehreren Feuern gen Himmel kräuselte. Allerdings verwirrte sie etwas, dass sie keine Gebäude sah, nur etwas, das wie ein niedriger Hügel anmutete.
Wäre sie weitergegangen, hätte sie Murask kurz nach Sonnenuntergang zu erreichen vermocht, doch sie entschied sich dagegen. Stattdessen schlug sie abermals am Fluss ein Lager auf, in der Absicht, früh am nächsten Tag in der Siedlung einzutreffen. Trotz ihrer Müdigkeit schlief sie schlecht; der mittlerweile volle Mond stand flammend am frostigen Himmel und warf scharf umrissene, schwarze Schatten über das Gras. Als Maerad ihn durch das Gewirr der Bruchweidenzweige betrachtete, lief ihr ein Schauder über den Rücken; es war ein mächtiger Mond, der Gefühle aus der Tiefe heraufbeschwor, die sie für tot gehalten hatte, aber sie waren verzerrt und unkenntlich, wandten sich ihr mit fremdartigen Gesichtern zu. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin, dachte sie; ich wusste es eigentlich nie wirklich. Eine grässliche Verzweiflung umklammerte ihr Herz. Vor Kälte schaudernd lag sie auf dem Rücken und fand keine Ruhe. Als sie aus verstörenden Träumen, an die sie sich nicht erinnern konnte, erwachte, herrschte ringsum noch Dunkelheit. Zwar hatte es in jener
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