Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
die Maerad erkennen konnte, waren einige dunkle Bruchweiden und Haselhölzer. Sie folgten einem verschlungenen Pfad, der sich wie trunken neben der Straße entlang schlängelte. Maerad vermutete, dass sie den Verlauf eines Flusses kennzeichneten.
In der Ferne sah sie Tiere, die sich über die Ebene bewegten, doch sie vermochte nicht zu sagen, um welche es sich handelte. Sie wusste nicht, ob es wilde Tiere waren oder ob sie ein Anzeichen für die Gegenwart von Menschen darstellten. Jetzt, da sie den Schutz der Bäume verlassen hatte, kam sie sich vor wie auf einem Präsentierteller; obwohl niemand in Sicht war und sich durch das flache Gelände niemand unbemerkt anzuschleichen vermocht hätte, umgab sie sich mit einem Trugbann, um sich unsichtbar zu machen. So fühlte sie sich sicherer. Zwar fürchtete sie nicht, so weit im Norden Untoten oder anderen Barden zu begegnen, doch sie wusste, dass sie sich mittlerweile in Reichweite des Herrschaftsgebiets des Winterkönigs aufhielt, zudem vermeinte sie, eine Gegenwart wahrzunehmen, ein spürbares Übel, das aus Nordosten in ihre Richtung pulsierte. Es äußerte sich lediglich als unbestimmtes Gefühl, aber beharrlich genug, um sie zu Vorsicht zu mahnen. Instinktiv schirmte sie ihren Geist dagegen ab, straffte die Schultern und ging weiter.
Sie marschierte bis zum Abend, als sie fand, es sei an der Zeit, ein Lager aufzuschlagen. Da es keine Bäume gab, die ihr Schutz bieten konnten, beschrieb sie einen Umweg ans Flussufer und ließ sich dort zwischen den Bruchweiden nieder. Eine solche Art hatte Maerad noch nie gesehen: Sie besaßen rötlich violette, blau getupfte Zweige, und ihre gelben Blätter zitterten im Abendwind. Irgendwo quakten ungesehen Enten im Wasser, und in der Ferne hörte sie die kläglichen Rufe von Regenpfeifern. Sie hatte eine Stelle zwischen zwei alten Bäumen gefunden, die etwas Schutz bot. Dort kauerte sie sich zwischen die Wurzeln. Das Gefühl des Wohlbefindens, das sie während des Tages genossen hatte, schrumpfte und verschwand.
Sobald die Sonne untergegangen war, wurde es unangenehm kalt. Maerad schauderte, als sie sich in ihre Decke kuschelte und versuchte, es sich zwischen den Baumwurzeln gemütlich zu machen. Unsicherheit erfüllte sie; niemand hielt Wache, und so würde sie ungeschützt in der Wildnis schlafen müssen. Zwar verbarg sie sich nach wie vor hinter ihrem Trugbann, doch sie wusste, dass ein solcher Zauber keine Tiere zu täuschen vermochte. Auch konnte sie kein Feuer entfachen, um sich aufzumuntern, weil sie nichts hatte, um eines anzuzünden. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, Magie dafür einzusetzen, verwarf den Gedanken jedoch bald; sie sollte keine Aufmerksamkeit erregen.
Eine lange Weile lag sie wach, lauschte in die Nacht und drehte sich rastlos auf dem harten Boden hin und her. Die Sterne funkelten in der Dunkelheit. Maerad betrachtete den hellen Pfad des Lukemoi, des Sternenreiters, der sich mitten über den Himmel wölbte. So strahlend hatte sie ihn noch nie leuchten sehen. Angeblich beschritten die Toten diesen Pfad auf dem Weg zu den Toren. Sie fragte sich, ob Cadvan sich dort oben befand und sie während seiner Reise in die Schattenhaine beobachtete. Allerdings bot der Gedanke keinen Trost. Nein, dachte sie. Cadvan war längst entschwunden. Sie war allein.
Als Maerad erwachte, verspürte sie einen Anflug von Panik; sie konnte sich nicht erinnern, wo sich die Straße befand, und vom Fluss aus konnte sie deren Verlauf nicht erkennen. Dabei wurde ihr klar, dass es nur allzu einfach wäre, auf diesen flachen, gleichförmigen Ebenen tagelang im Kreis herumzulaufen. Das Einzige, das ein Gefühl für die Richtung vermittelte, war die Straße. Rasch frühstückte sie, dann brach sie dorthin auf, wo sie die Straße vermutete, auf die sie denn auch stieß, bevor sie allzu besorgt wurde. Als sie am nächsten Abend den Weg verließ, um eine Lagerstelle zu suchen, achtete sie wesentlich aufmerksamer auf die Richtung.
Sie marschierte mit forschen Schritten. Mittags legte sie eine Rast ein, davon abgesehen wanderte sie den ganzen Tag ohne Pause, da sie Murask unbedingt erreichen wollte, bevor das Wetter umschlug. Bislang hatte sie Glück gehabt: Die Tage waren kalt und klar, und es hatte keinen Regen gegeben. An das Schlafen unter freiem Himmel bei schlechtem Wetter hatte sie unangenehme Erinnerungen, zudem herrschte hier eine für sie ungewohnte Kälte. Wenn sie morgens erwachte, war die Welt weiß vor Frost. Der Tau auf den
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