Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
Blättern gefror, und das bisschen Wärme, das sich unter der Decke im Verlauf der Nacht ansammelte, verflog stets, sobald sie sich bewegte. Maerad war froh über ihre Schafsfelle, denn ohne diese hätte sie ohne weiteres erfrieren können. Die Tiere, die sie auf den Ebenen gesehen hatte, erwiesen sich als wilde Herden von großem, zottigem Rotwild. Sehr nah kam sie den Tieren nie, weil sie die Straße mieden; nur einmal begegnete sie einer kleinen Gruppe von etwa zwanzig, ehe sie Maerad witterten und Reißaus nahmen. Außerdem sah sie Herden wilder Ponys jener Art, wie sie von den Pilanel gehütet wurden: zäh, langhaarig und misstrauisch. Abgesehen davon erblickte sie gelegentlich kleine Kreaturen wie Wiesel mit braun glänzenden Fellen, vereinzelt auch Füchse, Hasen und Vögel: schwarz-weiße Seeschwalben, die über ihr kreisten, gewaltige Schwärme von Gänsen und Schneehühnern, die über den Winter nach Süden zogen, und zwei Adler auf der Jagd, die wie Steine auf das Gras herabstießen und mit einem kleinen, glücklosen Tier in den Klauen wieder emporschnellten. Anderen Menschen begegnete sie nicht. Dennoch fühlte sie sich nicht einsam; vielmehr empfand sie es als Erleichterung, allein zu sein. Über den Vorfall am Gwalhain-Pass grübelte sie nicht nach. Die schrecklichen Träume, die sie in Mirkas Hütte heimgesucht hatten und in denen sie immer wieder den Augenblick von Cadvans Tod aufs neue durchlebt hatte, quälten sie nicht mehr. Nach den langen Märschen untertags war sie abends zu müde, um irgendetwas zu träumen. Insgesamt fühlte sie sich leer und vertrocknet, als könnte sie nie wieder etwas empfinden. Sie ging ganz in den allfälligen Aufgaben jedes Tages auf: sich jeden Abend die Füße ordentlich mit Salbe einzureiben, um Blasen vorzubeugen; genug zu essen, um weitermarschieren zu können; auf jegliche Anzeichen von Gefahr zu achten. Wachsam behielt sie jegliche Veränderungen des Windes oder des Wetters im Auge, die das Herannahen einer Frostkreatur oder eines Sturmhundes ankündigen konnten, aber der Himmel blieb klar und blau.
All diese alltäglichen Aufgaben erinnerten Maerad unausweichlich an Cadvan. Mit einer Schärfe, die bis in ihre abgestumpfte Gefühlswelt vordrang, wurde ihr klar, dass sie keine Hoffnung gehabt hätte, allein in der Wildnis zu überleben, wären ihr nicht diese grundsätzlichen Fähigkeiten beigebracht worden. Dies wiederum beschwor andere Sorgen in ihr herauf: Obwohl sie so schnell wie möglich in Richtung Murask reiste, fürchtete sie sich davor, dort anzukommen. Was würde sie tun, wenn es so weit war? Bei allen bisherigen Aufeinandertreffen mit Fremden war stets Cadvan da gewesen, um sich etwaiger Schwierigkeiten anzunehmen.
Verbittert dachte Maerad, dass sie eigentlich sehr wenig über Menschen wusste; den Großteil ihres Lebens hatte sie in der Enge von Gilmans Feste verbracht, und seither hatte sie nur etwas über Barden erfahren. Sie beherrschte die Sprache der Pilanel nicht, wenngleich Mirka gemeint hatte, dass viele Pilanel die Gabe besaßen, und da es sich um ein Wandervolk handelte, sprachen vermutlich die meisten ein wenig Annaren. Sollte sie einfach in Murask hineinspazieren und um Hilfe bitten? Sollte sie erklären, wer sie war und was sie zu tun gedachte, oder sollte sie sich verstellen? Sie wusste nichts über die Pilanel; selbst Hem wäre besser vorbereitet gewesen als sie. Im Umgang mit dem Tarnungsbann stellte sie sich unbeholfen an, außerdem hätte ihr der ohnehin nicht zur Sprache der Pilanel verholfen; Cadvan hätte sie mit Sicherheit beherrscht. Maerad war sicher, dass Cadvan sich als Pilanel hätte ausgeben können, wenn er gewollt hätte; genauso sicher war sie, dass sie es nicht konnte. Obendrein kannte Cadvan die nördlichen Lande gut, wahrscheinlich besser als jeder andere in Annar - kurz, bevor er ihr begegnet war, hatte er den Norden ausgiebig bereist. Maerad konnte sich nur ansatzweise an die Landkarten erinnern, die sie in Gahals Haus betrachtet hatte, und die Karten von Zmarkan waren ohnehin überwiegend leer gewesen. Und sie konnte sich nicht entsinnende zuvor etwas von den Altweisen gehört zu haben oder darüber, wo man ein solches Volk antreffen könnte.
Also marschierte sie einfach weiter, weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte. Eine Bardin zu werden hatte ihrem Leben eine Bedeutung verliehen, die es zuvor nie besessen hatte; mittlerweile war diese Bedeutung geschrumpft und verschwunden, vergiftet von ihrer
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