Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
Wurzelgemüse gebrannter Schnaps, den die Männer in Gilmans Feste brauten, und es schmeckte genauso scheußlich. Sie schloss die Augen und versuchte, sich so schnell wie möglich zu erholen. Die Flüssigkeit brannte sich den Weg in den Magen hinab und ließ in ihrem Gefolge ein taubes Gefühl zurück. Maerad hoffte inständig, dass die Sitten dieser Leute keinen zweiten Becher vorsahen; zu ihrer Erleichterung schenkte niemand nach. Inzwischen war ihr so heiß geworden, dass sie sich am liebsten weiterer ihrer zahlreichen Kleiderschichten entledigt hätte, doch sie wusste nicht, ob man das als unhöflich empfunden hätte. Dharin wickelte indes das Bündel aus, das er vom Schlitten geholt hatte. Zu Maerads Überraschung enthielt es zwei herrliche Beispiele der Holzschnitzkunst der Pilanel, erlesen gefertigt und mit glänzendem Schwarz bemalt. Das eine stellte einen Wolf dar, das andere ein Schneehuhn. Mit geneigtem Haupt überreichte er beide den Dorfältesten. Mit ernsten Mienen nahmen sie die Geschenke entgegen, bewunderten sie aus jedem Winkel und neigten anschließend ebenfalls die Köpfe zum Dank.
Damit schienen die Förmlichkeiten vorüber, und Dharin stürzte sich mit den Dorfältesten, an deren vielsilbige Namen sich Maerad beim besten Willen nicht erinnern konnte, in eine lebhafte Unterhaltung. Maerad wischte sich Schweiß von der Stirn und versuchte, die Gedanken beisammen zu halten. Später erzählte ihr Dharin, dass sie lediglich Neuigkeiten ausgetauscht hatten: über das Wetter, über Jagdgründe, Mutmaßungen über den frühen Winter und die allgemeinen Bedingungen im Norden und auf den südlichen Ebenen.
Anscheinend erlitten die Altweisen selbst nach mehreren kargen Sommern wieder ein schlechtes Jahr, und wenngleich ihnen noch keine Hungersnot drohte, fürchteten sie, dass dies in einem weiteren Jahr der Fall sein könnte. Ein oder zwei Mal schnappte Maerad das Wort »Jussacks« auf - Dharin hatte sich erkundigt, ob es Kunde über Jussack-Überfälle im fernen Norden gab, und weitergegeben, was er in Tlon erfahren hatte. Die Dorfältesten berichteten ihm, dass sie Gerüchte von anderen Völkern weiter unten an der Küste gehört hatten, jedoch so weit im Norden noch keine Jussacks gesichtet worden seien. Nachdem die Neuigkeiten ausgetauscht waren, begann Dharin, Maerad in das Gespräch mit einzubeziehen. Es erwies sich als schleppendes Unterfangen, zumal ihre Fragen und anschließend die Antworten übersetzt werden mussten, doch zum Glück schienen die Dorfältesten über endlose Geduld zu verfügen. Ja, sie kannten eine Geschichte über das Lied. Maerad spürte ein Kribbeln im Nacken. Ja, selbst so hoch im Norden erinnerte sich man an die schreckliche Finsternis und den schauerlichen Winter, die ihr Volk vor vielen Generationen beinahe ausgelöscht hätten, und sie hatten am Himmel, im Schnee und in den Eingeweiden von Tieren Zeichen gesehen, die sie fürchten ließen, dass solche Zeiten zurückkehren könnten. Sie erinnerten sich sowohl an den Winterkönig als auch an den Namenlosen, wenngleich sie in den Liedern ihrer Völker andere Namen besaßen. Aber nein, obwohl sie die Geschichten hüteten, konnten sie Maerad nicht sagen, was das Geteilte Lied war. Und was Bäume anging - so hoch im Norden gab es keine.
Ob dieser Antwort fühlte Maerad sich sofort niedergeschlagen. War sie so weit gekommen, nur um zu erfahren, dass die Antworten ihrer andernorts harrten? Doch die Frau redete noch.
Dharin nickte, dann wandte er sich Maerad zu. »Gunisinapli meint, wenn du etwas über derlei Dinge wissen willst, solltest du mit ihrem Sänger sprechen. Er nennt sich Inka-Reb und lebt abgeschieden bei den Wölfen, ein Stück von hier entfernt. Allerdings warnt sie davor, dass er nicht mit jedem redet und sich weigern könnte, dich zu empfangen. Jedenfalls heißt es über ihn, dass er zwischen den Lebenden und den Toten wandelt und das Wissen der Toten besitzt.«
»Könnte er ein Dhillarearen sein?«, fragte Maerad. Dharin erkundigte sich bei Gunisinapli danach, woraufhin sie nur die Hände zu einer Geste hob, die auszudrücken schien: vielleicht, vielleicht auch nicht.
»Wenn er einer ist, kann ich mit ihm sprechen«, sagte Maerad. »Tja, ich vermute, das sollte ich tun. Wie kann ich ihn besuchen?«
Es folgte eine Aufzählung von Anweisungen, denen Dharin aufmerksam lauschte. Danach drehte er sich Maerad zu. »Zuerst musst du dich reinigen. Das bedeutet, du musst einen Tag und eine Nacht lang alleine in
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